Nur einen Tag zuvor hatte eine Kindergruppe im Anton-Schmaus-Haus[1] übernachtet. Eine Woche zuvor war eine Jugendgruppe aus Israel zu Gast. Das gesamte Haus war von dem Brand betroffen und anschließend unbenutzbar. In derselben Nacht verübten Unbekannte vier weitere Brandanschläge auf linke (Wohn-)Projekte in Berlin. Mirjam Blumenthal, die damalige Gruppenleiterin der „Falken“[2] und heutige Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln, erinnerte sich 2018 in einem Interview:
„In der Nacht zum 27. Juni [2011] hat bei mir das Telefon geklingelt und mir wurde mitgeteilt, dass das Anton-Schmaus-Haus […] brennt. Wir hatten Wochen vorher schon eine Warnung bekommen von der MBR [Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin], dass wir auf der Liste stehen der Objekte, die die Nazis angreifen wollen. Das heißt, für uns war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis was passiert, nur wir haben alle nicht damit gerechnet, was passieren würde […]. Für uns ist der Angriff auf das Anton-Schmaus-Haus in der Dimension nicht nur ein Angriff auf die Demokratie gewesen, sondern tatsächlich auch, wo in Kauf genommen wird, dass Menschen auch zu Tode kommen können, weil sie [die Täter*innen] tatsächlich nicht wissen konnten, ob jemand drin ist oder nicht.[3]
Vor dem Brandanschlag hatte das militante Neonazi-Netzwerk „Nationaler Widerstand Berlin“ (NW Berlin) eine „Feindesliste“ im Internet veröffentlicht. Darauf war auch das Anton-Schmaus-Haus aufgeführt. NW Berlin bestand seit etwa 2005. Bis 2012 existierte die Webseite „NW-Berlin.net“. Über mehrere Jahre wurden dort Personen mit Namen, Fotos und Adressen geführt. Zudem waren unter der Überschrift „Linke Läden“ Adressen und Bilder verschiedener linker und alternativer Einrichtungen zu finden. Das Kürzel „NW“ tauchte mehrfach nach Anschlägen auf. Schließlich führte der jahrelange zivilgesellschaftliche und antifaschistische Druck dazu, dass die neonazistische Webseite „NW-Berlin.net“ 2011 zunächst indiziert und 2012 letztlich abgeschaltet wurde. Auch wenn das Label „NW Berlin“ heute nicht mehr genutzt wird, sind viele der Neonazis jedoch weiterhin aktiv.
Bereits seit Ende der 1970er Jahre agieren Neonazis besonders im Süden Neuköllns und bedrohen gezielt politische Gegner*innen. Wegen ihrer antifaschistischen Arbeit gerieten auch die „Falken“ immer wieder ins Visier der Rechten. Angehörige der „Falken“ erhielten Drohbriefe und anonyme Anrufe, das Gruppenhaus der „Falken“ wurde mehrfach mit Naziparolen beschmiert.
Im November 2011 erfolgte ein zweiter Anschlag auf das Anton-Schmaus-Haus. Unbekannte legten mehrere Brandherde. Als Datum wählten die Täter*innen den 9. November, den Jahrestag der antisemitischen Pogrome von 1938. Erst seit Mai 2012 kann das Haus wieder genutzt werden. Heute ist es mit einem massiven Sicherheitszaun ausgestattet.
Auch nach den Brandanschlägen hörten die rechten Attacken auf das Anton-Schmaus-Haus nicht auf. Im Oktober 2012 sprühen Unbekannte „Ihr interessiert uns brennend“ zusammen mit Hakenkreuzen auf den neuen Sicherheitszaun. Der Schriftzug „NW-Berlin.net“ verwies auf die (heute nicht mehr existente) Webseite des „Nationalen Widerstands Berlin“.
Der Beitrag beleuchtet einen Teilaspekt der Ausstellung „Immer wieder? Extreme Rechte und Gegenwehr in Berlin seit 1945“, die das antifaschistische pressearchiv und bildungszentrum berlin (apabiz e.V.) zusammen mit dem Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. konzipierte.
- ↑ Das Haus der Falken ist nach Anton Schmaus (1910-1934) benannt. Anton Schmaus lebte in Köpenick, war Sozialdemokrat und u.a. Mitglied in der Anti-Nazi-Organisation „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. Im Juni 1933 folterte und ermordete die SA zahlreiche Nazigegner in Köpenick. Anton Schmaus konnte sich seiner Festnahme entziehen und erschoss dabei drei SA-Leute. Später stellte er sich der Polizei. Ein Jahr darauf starb er an den Folgen der Misshandlungen durch die SA.
- ↑ „Die Falken“ sind ein unabhängiger und selbstorganisierter politischer Kinder- und Jugendverband, der aus der Arbeiterjugendbewegung hervorgegangen ist. In der Zeit des Nationalsozialismus war der Verband verboten, viele Mitglieder wurden verfolgt.
- ↑ Das gesamte Interview findet sich im Katalog zur Ausstellung „Immer wieder?“ des apabiz und des Aktiven Museums.