Die 90er haben angerufen. Sie wollen ihre Nazis zurück.

Am 3. Oktober plant „Der III. Weg“ einen Aufmarsch in Berlin-Hohenschönhausen. Bislang ist die Neonazipartei in der Stadt vor allem durch Propagandaaktionen aufgefallen. Die neonazistischen Strukturen Berlins scheinen derweil im Umbruch begriffen.

 
Foto: apabiz

Der geplante Aufmarsch des „III. Wegs“ ist als Ersatz für dessen coronabedingt ausgefallene 1.-Mai-Demonstration in Erfurt angedacht. In den letzten Jahren konnte die Partei regelmäßig zu diesem Datum mehrere hundert Neonazis in verschiedene ostdeutsche Städte mobilisieren. Nun will sie unter dem Motto „Ein Volk will Zukunft! Heimat bewahren! Überfremdung stoppen! Kapitalismus zerschlagen!“ in Berlin demonstrieren. Hier trat die Partei bislang öffentlich kaum in Erscheinung. Gegen den Aufmarsch sind breite Proteste angekündigt.

Die Strukturen

„Der III. Weg“ wurde 2013 in Heidelberg von ehemaligen Mitgliedern der NPD und sogenannten Freien Kräften des inzwischen verbotenen Kameradschaftsnetzwerks Freies Netz Süd (FNS) gegründet. Die Partei bot bald jenen Neonazis ein Auffangbecken, die zuvor in von Verboten betroffenen Organisationen aktiv waren. Neben Rheinland-Pfalz und Bayern ist die Partei vor allem in ostdeutschen Bundesländern aktiv. Regional gegliedert ist sie in drei Landesverbände (ehemals „Gebietsverbände“), deren kleinste Einheiten von den Neonazis als „Stützpunkte“ bezeichnet werden. Der „Stützpunkt Berlin“ gehört zum „Landesverband Mitte“. Darunter fallen außerdem die – ausnahmslos ostdeutschen – Bundesländer Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Wer den „Stützpunkt Berlin“ leitet, ist derzeit ungewiss. Hauptaktionsradius in Berlin ist der Bezirk Lichtenberg. Dies geht aus den Chroniken des Registers Lichtenberg hervor, welches seit Jahren rechte Umtriebe im Bezirk dokumentiert. Dort treten zum Teil Neonazis, die früher dem Netzwerk Nationaler Widerstand Berlin (NW Berlin) zuzurechnen waren, heute für den „III. Weg“ öffentlich in Erscheinung. Sie waren bei Aktivitäten der Partei in Ostdeutschland anwesend und übernahmen Funktionen etwa als Demonstrationsordner. Auch an Aktionen in Ungarn beteiligten sie sich. Da sich die Propagandaaktivitäten – Plakate, Aufkleber und Steckflyer – vor allem auf Lichtenberg konzentrieren, ist zu vermuten, dass die wenigen Neonazis meist nur in der Lage sind, in ihrem eigenen Wohnumfeld Propaganda zu verteilen. Auch die bisher einzige öffentliche Kundgebung des „Stützpunktes“ im April 2017 fand am S-Bahnhof Lichtenberg statt.

Vereinzelt organisierten sie interne Veranstaltungen an einem bislang unbekanntem Ort in der Stadt. Die teils bebilderten Berichte auf den Internetpräsenzen der Partei vermitteln den Eindruck, dass an diesen bisweilen eine höhere zweistellige Personenzahl teilnahm. Außerdem setzten sich die Neonazis in den Wintermonaten der vergangenen Jahre mit der Aktion „Deutsche Winterhilfe“ propagandistisch in Szene. Hier verteilten sie unter anderem Schlafsäcke, jedoch ausschließlich an von ihnen als deutsch wahrgenommene Obdachlose. Wohl nicht ganz zufällig erinnert der Name der Aktion an das „Winterhilfswerk des Deutschen Volkes“ aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Vorsitzender des „Landesverbands Mitte“ ist Matthias Fischer, der seit einigen Jahren in der Uckermarck lebt. Zuvor trat der Neonazi jahrelang für die Kameradschaftsstrukturen Fränkische Aktionsfront und das FNS in Bayern in Erscheinung. Sein Name war auch auf einer Telefonliste des NSU zu finden. Bis 2011 verbüßte Fischer unter anderem wegen Volksverhetzung eine fast zweijährige Haftstrafe. Als sein Stellvertreter fungiert Tony Gentsch („Stützpunkt Voigtland“), der genau wie Fischer auch im Bundesvorstand der Partei aktiv ist. Bei Gentsch handelt es sich ebenfalls um einen wichtigen ehemaligen Kader des verbotenen FNS im Raum Franken. 2012/13 verbüßte er unter anderem wegen Körperverletzung eine Haftstrafe. Aus Brandenburg ist zudem Robin Liebers im Vorstand des Gebietsverbands. Dieser war zuvor für die Jungen Nationaldemokraten (heute Junge Nationalisten) aktiv. Aus Berlin bekleidet derzeit niemand ein offizielles Parteiamt im Landesverband. Gleiches gilt für den Bundesvorstand.

Zwar ist „Der III. Weg“ eine eingetragene Partei, jedoch verfolgt man im Gegensatz zur NPD kaum parteipolitische Aktivitäten und Ziele und tritt nur vereinzelt zu Wahlen an. Vielmehr werden Wahlkämpfe genutzt um gezielt zu provozieren. Ein Beispiel dafür: Im Europawahlkampf 2019 hingen die Neonazis Plakate mit der Aufschrift „Reserviert für Volksverräter“ und der Darstellung einer Gefängniszelle vor dem Lichtenberger Rathaus auf. Dies muss als klare Drohung verstanden werden.

Nationalsozialistische Ideologie und Inszenierung

Die bundesweit nur wenigen hundert Mitglieder, darunter auch der verurteilte Rechtsterrorist Karl-Heinz Statzberger, der 2003 gemeinsam mit anderen Neonazis der Kameradschaft Süd um Martin Wiese einen Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Zentrums in München plante, verstehen sich als völkisch-nationalistische Elite. Sie grenzen sich bewusst von anderen neonazistischen Parteien und Strömungen ab. Die Partei fordert einen „Deutschen Sozialismus“ als vermeintlich „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Dabei vertritt man einen völkischen Antikapitalismus, der auf einer personifizierten Schuldzuweisung abstrakter Verhältnisse fußt und sich aus antisemitischen, rassistischen sowie nationalistischen und autoritären Elementen speist. Den Parteimitgliedern geht es ganz in nationalsozialistischer Tradition um den „Kampf um die Straße“. Das spiegelt sich auch im kurzen Parteiprogramm wieder, das in Teilen dem der NSDAP ähnelt.

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Der Begriff „Volk“ wird in rassistischer Manier als biologistische Größe in Form einer Abstammungsgemeinschaft gedacht. So beschwört das Parteiprogramm die „Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes“ und warnt vor einem „drohenden Volkstod“. Die Neonazis fordern darüber hinaus die „Einführung der Todesstrafe für Kindermord und andere Kapitalverbrechen“. Neben dem Recht hätten Deutsche die „Pflicht zur Arbeit“. Mit geschichtsrevisionistischen Parolen wie „Deutschland ist größer als die BRD“ fordert „Der III. Weg“ ein Deutschland in den Grenzen von vor dem Zweiten Weltkrieg. In Verlautbarungen findet sich antisemitische Propaganda. In der Vergangenheit kooperierte die Partei auch mit den HolocaustleugernInnen der inzwischen angeblich aufgelösten Europäischen Aktion. Außerdem vertritt man offensiv antifeministische sowie behindertenfeindliche Positionen, wenn die Partei Frauen vorrangig als Mütter adressiert und sich gegen die „Abtreibung gesunder deutscher Kinder“ ausspricht. Außerdem äußert sie sich homo- und transfeindlich, etwa wenn sie von „Gesunden Familien“ in Abgrenzung zu „Homo-Progaganda“ schwadroniert.

Aufmerksamkeit gewann die Partei vor allem durch die Veröffentlichung einer bundesweiten Karte mit Standorten von Asylunterkünften als Teil einer rassistischen Hetzkampagne. Zentrale Veranstaltungen sind die jährlichen Demonstrationen zum 1. Mai unter dem Motto „Arbeiterkampftag“, sowie die im bayrischen Wunsiedel stattfindenden „Trauermärsche“ in Gedenken an NS-Kriegsverbrecher. Bei den Veranstaltungen tragen die Neonazis häufig die gleichen, extra für den Tag produzierten T-Shirts um so die Ästhetik einer Uniformierung zu erzeugen. Eine ähnliche, an der SA-orientierte Optik wie „Der III. Weg“ bediente Anfang der 1990er auch die später verbotene Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP). Meist läuft heute vor den Demonstrationszügen eine Trommelgruppe, wobei die verwendeten Trommeln große Ähnlichkeit mit denen der Hitlerjugend aufweisen.

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Auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR Berlin) verweist auf das martialische, uniformierte Auftreten der Partei. Die Mitarbeiter*innen der MBR rechnen aufgrund der wenigen expliziten Neonaziaufmärsche in diesem Jahr und der bundesweiten Mobilisierung mit einer überregionalen Anreise von Neonazis.

Enormes Gewaltpotential

Wiederholt kam es in der Vergangenheit bei Demonstrationen der Neonazipartei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. So brach am 1. Mai 2015 im thüringischen Saalfeld eine größere Gruppe aus dem Demonstrationszug aus und verletzte mehrere Personen schwer.

Am 1. Mai 2016 kam es im sächsischen Plauen zu Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Polizei, nachdem diese einen Teil der geplanten Route sperrte und die Neonazis zum Umkehren zwang. Dabei wurde auch eine Gegendemonstrantin von einem Neonazi niedergeschlagen und verlor zwischenzeitlich das Bewusstsein.

Auch für den 3. Oktober ist von einem enorm hohen Gewaltpotential und einer entsprechenden Gefahr für Anwohner*innen, Gegendemonstrant*innen und Journalist*innen auszugehen. AktivistInnen der Partei, wie unter anderem Matthias Fischer, beteiligten sich in den vergangenen Monaten auch an den verschwörungsideologischen Protesten gegen die Coronamaßnahmen in Berlin und verteilten dort eigens zu diesem Thema produzierte Infozettel mit dem Aufdruck „Das System ist gefährlicher als Corona“.

International ist „Der III. Weg“ gut vernetzt. Kontakte bestehen unter anderem zu den Neonazis der Goldenen Morgenröte in Griechenland und der Nordischen Widerstandsbewegung aus Schweden, aus deren Umfeld in der Vergangenheit Sprengstoffanschläge begangen wurden.

Umbruch in der Berliner Neonaziszene?

Derzeit befindet sich die Neonaziszene Berlin offenbar im Umbruch. Klassische Kameradschaftsstrukturen, wie NW-Berlin oder die Gruppe Autonome Nationalisten Berlin (AN Berlin), haben sich entweder aufgelöst oder treten nicht mehr unter diesen Labels in Erscheinung. Der Großteil der noch vor einigen Jahren sehr aktiven Neonazis aus diesen Strukturen ist kaum oder gar nicht mehr öffentlich wahrnehmbar. Die NPD hat in den vergangenen Jahren einen enormen Bedeutungsverlust erlitten und meldet kaum noch Demonstrationen und Kundgebungen an. Nicht zuletzt dürften die Wahlerfolge der AfD dem offenen Neonazispektrum gezeigt haben, dass auf dem parteipolitischen Weg für sie derzeit wenig Platz ist. Es besteht die Gefahr, dass sich Berliner Neonazis daher verstärkt auf militante Aktionen oder – wie in Neukölln bereits zu beobachten – auf Terror verlegen. „Der III. Weg“ könnte versuchen, das aktuelle Vakuum in der Szene für sich zu nutzen und die verbliebenen NeonaziaktivistInnen um sich zu sammeln, um so in Berlin künftig verstärkt aufzutreten.

Gegen den Neonaziaufmarsch am 3. Oktober mobilisiert ein großes Bündnis verschiedener Initiativen zu Protesten. Eine Übersicht der aktuellen Anmeldungen findet sich bei Berlin gegen Nazis.

 


Teile des Textes basieren auf einem Infoflyer, den Lichtenberger Register und apabiz 2017 gemeinsam veröffentlicht haben, um über rechte Strukturen aufzuklären.

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