Erster „Berlin-Monitor“ zur politischen Kultur und (anti)-demokratischen Einstellungen erschienen

Bundesweite und regionale Repräsentativbefragungen zu politischen Einstellungen (etwa die „Mitte-Studien“ oder der „Thüringen-Monitor“) werden seit vielen Jahren durchgeführt und lassen aufgrund der Langzeitbefragung mittlerweile auch Aussagen über zeitliche Entwicklungen zu. In Berlin gab es entsprechende Studien bisher nicht. Der nun erstmalig erschienene „Berlin-Monitor“ geht noch einen Schritt weiter: Neben einer Repräsentativbefragung kommen vertiefend auch qualitative Methoden der Befragung zum Einsatz.

 

Neben den Behörden sind es vor allem die zivilgesellschaftlichen Projekte, die durch Monitoring, Beratung, Bildungsarbeit und Vernetzung seit langem zu den verschiedenen Phänomenen von alltäglicher Diskriminierung sowie organisierten extrem rechten Strukturen arbeiten, die verschiedenen Facetten dessen sichtbar machen und Analysen liefern. Ergänzend zu diesem Erfahrungswissen liegen mit dem nun veröffentlichten ersten „Berlin-Monitor“, der in Teilen auf den Fragen bundesweiter Studien aufbaut und deswegen auch einen Vergleich mit deren Ergebnissen zulässt, nun auch erstmals für Berlin repräsentative Ergebnisse vor. Erhoben wurde nicht nur das Ausmaß diskriminierender Einstellungen, sondern auch Diskriminierungserfahrungen. Im Gegensatz zu vielen anderen Einstellungsuntersuchungen wie etwa den „Mitte-Studien“ geht der Berliner Ansatz auch methodisch noch einen Schritt weiter: Neben der telefonisch durchgeführten Repräsentativbefragung zeichnen Gruppendiskussionen sowie aktivierende Befragungen einzelner Akteur*innen zum diesjährigen Themenschwerpunkt Antisemitismus und jüdische Lebenswelten ein umfassenderes Bild.

Es überrascht kaum, dass sich auch in Berlin verschiedene Formen von Diskriminierung messen lassen, die sich relational kaum von den Ergebnissen auf Bundesebene unterscheiden: So sind im Ergebnis der Befragung von rund 2.000 Berliner*innen vor allem Geflüchtete und Muslim*innen (24 Prozent), aber auch Sinti*ze und Rom*nja sowie Arbeitslose von Vorurteilen betroffen. Allerdings, so die Autor*innen der Studie von der Hochschule Magdeburg-Stendal und der Universität Leipzig, liegen die Werte zusammengenommen unter den Ergebnissen des bundesweiten Vergleichs: Um die zwei Drittel der Befragten haben entsprechende Aussagen deutlich zurückgewiesen.

Voraussetzungen politischer Teilhabe

Neben den verschiedenen Facetten zur Messung von Diskriminierung (gefragt wurde zu den Phänomenen „Fremdenfeindlichkeit, Feindlichkeit gegen Muslime, Feindlichkeit gegen Geflüchtete, Antiziganismus, Deklassierung, Antigenderismus, Rassismus, Homophobie und Transphobie“) widmet sich ein weiterer Fragekomplex den Einstellungen zur politischen Kultur und dem Ausmaß politischer Teilhabe. Im Ergebnis gibt es in Berlin eine „beachtliche Bereitschaft, zivilgesellschaftlich Einfluss zu nehmen und am gesellschaftlichen Gestaltungsprozess teilzuhaben“. Allerdings, so der Befund, sind „Berliner*innen mit einer formal höheren Bildung und besseren sozialen Position dabei mit ihren Einflussmöglichkeiten weit zufriedener als Berliner*innen mit schlechteren Positionen“. Dieser durchaus nicht nebensächliche Befund verweist auf die Relevanz, die die soziale Lage für die politische Partizipation im Sinne einer politischen Handlungsfähigkeit und damit zusammenhängend dem Demokratieempfinden einnimmt. Entsprechend bestätigen die Ergebnisse der Befragung die These einer „Partizipationsschere“: Der Umbau des Sozialstaates bei gleichzeitigen Appellen an die Eigenverantwortung trägt mit dazu bei, dass politische Teilhabe zunehmend individualisiert wird und von persönlichen Ressourcen abhängt. Dieser „partizipatorische Paradigmenwechsel“[1] wirkt sich insbesondere für sozial benachteiligte Milieus nachteilig aus. Entsprechend setzt politische Teilhabe rechtliche und soziale Absicherung sowie eine lokale Infrastruktur voraus. Sind diese Voraussetzungen nicht gewährleistet droht die Gefahr, dass sich politische Teilhabe in ihrer Gesamtheit betrachtet desintegrativ auswirkt. Artikulieren tun sich dann vor allem diejenigen Milieus, die auf verschiedenen Ebenen (Bildung, Einkommen, soziale Netzwerke, …) die entsprechenden Ressourcen mitbringen. Es wäre wünschenswert, wenn dieser Aspekt auch zukünftig in weiteren Forschungsansätzen ausreichend Beachtung finden würde.

Die Betroffenenperspektive

Darüber hinaus widmet sich der „Berlin-Monitor“ auch der Verbreitung von verschiedenen Diskrimierungserfahrungen, etwa aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, Religion, sozialer Lage und weiteren. Das Ergebnis macht deutlich, dass Diskriminierungserfahrungen in Berlin weit verbreitet sind (57 Prozent), wobei mehr als die Hälfte der Befragten Diskriminierung aufgrund von mehreren Merkmalen erlebt haben. Die häufigsten Diskriminierungerfahrungen betreffen Herkunft und Geschlecht. Dass insbesondere bei diesen beiden Merkmalen auch das Alter der Befragten ausschlaggebend ist lässt vermuten, so die Autor*innen, dass unter jüngeren Menschen die Sensibilisierung für Diskriminierungserfahrungen sozialisationsbedingt stärker ausgeprägt ist. Für nahezu alle erfassten Dimensionen der Diskriminierung gilt, dass diese von der Alterskohorte der unter 30-Jährigen weitaus häufiger berichtet werden als von älteren Menschen.

Kollektive Handlungsstrategien

Die Besonderheit des „Berlin-Monitors“ liegt darin, dass die repräsentative Erhebung von qualitativen Ansätzen flankiert wird, die sich in diesem Jahr dem Schwerpunkt Antisemitismus und jüdischen Lebenswelten widmen. Mittels aktivierender Befragungen sollen so der Dialog eröffnet, erweiterte Handlungsmöglichkeiten entwickelt und diese schließlich in ausgewählten Sozialräumen exemplarisch erprobt werden. Dieser Methodenmix ist vielversprechend, denn er ermöglicht es, gleichzeitig zur statistischen Erhebung auch den Fokus auf die Praktiken der Betroffenen von Diskriminierung bzw. ihrer Interessensvertretungen und die Gelingensbedingungen in der Auseinandersetzung zu richten. Eine Antwort auf die Frage, inwiefern die „Lebenswirklichkeit von Jüdinnen*Juden in Deutschland von Antisemitismus geprägt ist, können Studien zur Verbreitung antisemitischer Sichtweisen nicht erfassen“, so die Autor*innen. Befragt wurden sowohl thematisch mit dem Thema befasste Akteur*innen der professionalisierten Zivilgesellschaft (Expert*inneninterviews) als auch Menschen, die sich jenseits der organisierten Zivilgesellschaft engagieren. Ziel des Ansatzes ist es, den meist individualisierten Umgang mit Diskriminierungserfahrungen zu überwinden und zur Entwicklung kollektiver Handlungsstrategien beizutragen. Die Ergebnisse des qualitativen Teils werden in dem aktuell vorliegenden „Berlin-Monitor“ zunächst als Zwischenergebnisse präsentiert, da der Befragungsprozess noch bis Ende des Jahres fortgesetzt wird. Es bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse dieses multimethodischen Ansatzes tatsächlich auch den Akteur*innen zugute kommen, indem mittelfristig entsprechende Handlungsempfehlungen auch den Weg in die institutionsübergreifende Praxis finden. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Im Feld der antisemitismuskritischen Bildungsarbeit äußerten sich einzelne Befragte dahingehend, dass es wichtig sei, das Thema systematisch in die hoch- und fachschulische Ausbildung von pädagogischem Fachpersonal einzubringen. Grundsätzlich sei es derzeit noch schwierig, die Qualifizierung von Fachkräften über das Engagement von Einzelpersonen hinaus systematisch anzugehen. Dass es erklärtes Ziel des Projektes ist, Ergebnisse schließlich auch probeweise in die Praxis umzusetzen, kann nur begrüßt werden. Denn mitunter fehlt der wissenschaftlichen Praxisbegleitung aufgrund diverser Gründe wie Ressourcen, mangelnder politischer Unterstützung aber auch der Komplexität der dafür notwendigerweise zu beteiligenden Akteur*innen und Institutionen genau dieser notwendige Schritt der „Rückübersetzung“ von Ergebnissen.


Der Berlin-Monitor 2019. Vernetzte Solidarität – Fragmentierte Demokratie.
Erschienen im August 2019. Autor*innen: Gert Pickel, Katrin Reimer-Gordinskaya, Oliver Decker, Julia Schuler, Kazim Celik, Charlotte Höcker, Selana Tzschiesche. Universität Leipzig und Hochschule Magdeburg-Stendal.
Berlin-monitor.de

  1.  Wagner, Thomas: Soziale Arbeit, Bürgerschaft und (Post-) Demokratie, in: Widersprüche Nr. 130, S.61-89.
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