Antisemitismus an Berliner Schulen begegnen

„Hier geht es um Antisemitismus übelster Art.“ - diesen Worten des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, kann ich nur beipflichten. Die antisemitischen Vorfälle an der Friedenauer Gemeinschaftsschule, die in diesem Frühjahr öffentlich wurden, spiegeln eine traurige Realität des Berliner Schullebens wieder. Leider sind dies keine Einzelfälle, doch in diesen Ausmaßen gehört so etwas auch nicht zur Normalität.

 

Ein Jugendlicher wurde von seinen Mitschülern aufgrund seiner religiösen Zugehörigkeit so stark schikaniert, dass er keinen anderen Ausweg sah, als seine Schule zu verlassen. Über diesen Vorfall wurde zu Recht, auch medial, stark diskutiert. Auch der ethnische Hintergrund der Täter steht im Fokus der Debatten.

Es gibt Antisemitismus unter Muslimen. Diesen zu Verschweigen ist falsch. Es ist aber auch nicht richtig, den Antisemitismusvorwurf allgemein auf Muslime als homogene Gruppe anzuwenden, zu pauschalisieren, denn die Zahlen sprechen nicht dafür. Juliane Wetzel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und Mitglied im Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des deutschen Bundestages, äußerte sich in einem Vortrag zum Thema wie folgt:

„Im öffentlichen Diskurs steht die Gruppe der Muslime als vermeintliche Hauptverursacher des Antisemitismus im Fokus, mit der „Flüchtlingswelle“ haben solche Zuschreibungen noch zugenommen. Dies hat dazu geführt, dass der Rechtsextremismus als zentrales Milieu antisemitischer Inhalte in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Antisemitismus in Deutschland in den Hintergrund getreten ist. Insbesondere muslimische Verbände und Moscheegemeinden werden undifferenziert als Hort antisemitischer Agitation gesehen und Imame als »Hassprediger« charakterisiert. Untersuchungen zu antisemitischen Einstellungen in muslimisch geprägten religiösen Milieus, die diese Vermutungen untermauern könnten, gibt es bisher jedoch kaum. Eine vom Expertenkreis in Auftrag gegebene Pilotstudie zur Haltung von Imamen konnten keine radikalen antisemitischen Stereotype identifizieren, eine Gleichsetzung des Holocaust mit der israelischen Politik gegenüber den Palästinenser jedoch schon.“

Wenn man den Antisemitismus unter Muslimen angehen möchte, dann hilft es wenig, sie als Judenhasser zu disqualifizieren. Ja, es gibt antisemitische Muslime, doch es gab auch noch nie ein derartiges muslimisches Engagement gegen Antisemitismus und für einen jüdisch-muslimischen Dialog wie heute. Ob die „Interreligious Peers“ vom JUMA-Projekt, das Projekt „AKRAN“ oder zahlreiche andere – das Bemühen junger Muslime, den Antisemitismus in ihren Communities zu bekämpfen ist ein neues Phänomen, welches möglicherweise einen neuen Trend markiert: social consciousness. Das ist eine Form der gesellschaftlichen Partizipation, die auf einer selbst erkannten sozialen Verantwortung aufbaut.

Selbstbewusste Jugendliche gegen Intoleranz

Um das Beispiel des Peer-to-Peer-Projektes AKRAN der KIgA näher zu beleuchten: Die meisten der teilnehmenden jungen Erwachsenen „teamen“ jetzt an Schulen, leiten Workshop-Reihen oder initiieren eigene Projekte bei anderen Trägern. Viele haben ihre Präsentationsprüfung im Abitur zu dem Thema gemacht, ein ehemaliger Teilnehmer sogar seine MSA-Prüfung. Eine weitere ehemalige Teilnehmerin ist jetzt Guide am Jüdischen Museum Berlin. Als der Rabbiner Daniel Alter im Jahr 2012 überfallen wurde, sind zwei der Jugendlichen zu einer Kundgebung nach Friedenau gefahren, haben dem Rabbi ihre Trauer, ihr Mitgefühl ausgedrückt. Nicht weil ihnen jemand dazu geraten hatte, sondern aus eigenem Antrieb. Die Jugendlichen nehmen mit ihrem Engagement ein gewisses Risiko auf sich. Wenn ein palästinensischer Junge zum Beispiel bei Facebook seinen Cousin auf einen Post anspricht und schreibt, „das ist antisemitisch, was du da schreibst“, kann es sein, dass er als Antwort Aussagen wie die Folgende bekommt: „Was für ein Problem hast du, bist du jetzt ein Judenfreund, oder was?“ Aber die jungen Peers sind selbstbewusst genug, um bei ihrer Meinung zu bleiben und Hass und Intoleranz nicht zu tolerieren.

Das Bemühen junger Muslime, den Antisemitismus in ihren Communities zu bekämpfen ist ein neues Phänomen, welches möglicherweise einen neuen Trend markiert: social consciousness.

Auch das JUMA-Projekt unterstützt junge Muslime darin, sich aktiv an politischen und gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen und auf dieses Engagement aufmerksam zu machen. Auch hier steht – neben Projekten wie der Flüchtlingsinitiative und der Ausbildung zu sogenannten „Türöffnern“, die den Austausch zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen suchen – der jüdisch-muslimische Dialog im Mittelpunkt. Im Projekt „Interreligious Peers“ haben sich 14 junge Berliner Muslime, Christen, Juden und Bahai von erfahrenen Trainer_innen der interkulturellen und interreligiösen Bildung zu Peer-Trainer_innen ausbilden lassen. Sie sind nun in der Lage, mit Schüler_innen zu den Themen der interreligiösen und weltanschaulichen Vielfalt und Verständigung zu arbeiten. Als junge Menschen setzen die „Interreligious Peers“ bewusst auf den Peer-Education-Ansatz, in dem die Erkenntnis zum Tragen kommt, dass Jugendliche in Bezug auf die Entwicklung des eigenen Wertesystems besonders durch Gleichaltrige ansprechbar sind und sich vor allem auch an deren praktischen und authentischen Erfahrungen orientieren. Dazu haben sie zahlreiche, vielbeachtete Aktionen konzipiert und umgesetzt. Diese sollen verdeutlichen, dass sie die Instrumentalisierung und den Missbrauch ihrer Religionen im Namen der Gewalt ablehnen und auch andere gruppenabwertende Haltungen mit ihren religiösen Überzeugungen nicht vereinbar sind.

Eine religiös begründete Motivation für das Engagement ist eine Vorstellung von Toleranz im Glauben, beruhend auf einer im Koran basierten Nähe der abrahamitischen Religionen. Politische Beweggründe sind unter anderem religiös begründete Ausgrenzungserfahrungen, die in der eigenen Wahrnehmung deutlich zunehmend sind. Von beiden Motivationen kann man in der pädagogischen Arbeit gegen Antisemitismus Gebrauch machen, in dem man diese als so genannte door opener zum Thema benutzt. Hierbei geht es nicht um die Gleichsetzung von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus oder einem Wettbewerb zwischen beiden. Vielmehr geht es darum, über diese Zugänge Empathie möglich zu machen und andere Sichtweisen aufzuzeigen. So werden unter anderem jüdische Perspektiven für Menschen zugänglich gemacht, die in ihrem Alltag keine Berührungspunkte mit jüdischem Leben in all seiner Vielfalt haben.

An den Projekten der KIgA, der JUMA und weiterer Initiativen wird deutlich, wie groß das Interesse am jüdisch-muslimischen Austausch gerade auch in der muslimischen Gemeinschaft in Berlin ist. Dieses Interesse wird von der Öffentlichkeit jedoch nicht so sehr wahrgenommen. Natürlich erhielt der Fall in Berlin Friedenau völlig zu Recht große Aufmerksamkeit und wurde, ebenfalls zu Recht, medial schnell verbreitet. Jedoch gerät die Arbeit an einer jüdisch-muslimischen Annäherung durch solche Vorfälle und eine einseitige mediale Aufbereitung stark in den Hintergrund – was angesichts der Menge der Initiativen, die eben diesen antisemitischen Entwicklungen begegnen wollen, bedauerlich und für den Dialog kontraproduktiv ist. Natürlich muss trotzdem Antisemitismus in allen Erscheinungsformen als solcher erkannt, benannt und entschieden bekämpft werden.

Durch den Fall von Antisemitismus in Berlin Friedenau wurde deutlich, dass an jeder Schule, auch an einer, die ein antirassistisches Profil hat und in Fällen von Ausgrenzung entschieden durchgreift, eine solche Situation nicht immer gelöst werden kann. Schuldige zu suchen hilft jedoch nicht immer der Sache. Als Bildungsträger haben wir die Pflicht, nach Lösungen vor Ort zu suchen, unabhängig von der medialen Aufmerksamkeit, die das Thema berechtigterweise erhält. Solche Vorkommnisse zu verhindern sollte zweifellos unser aller Ziel sein und Partner in diesem Kampf sind Muslime, Lehrer, Juden, Jugendliche, Politiker – alle, gemeinsam, gleichberechtigt.

Der Bildungsträger KIgA e.V. entwickelt innovative Konzepte für die pädagogische Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft. Seit 2003 erarbeitet die KIgA modellhafte und lebensweltlich orientierte pädagogische Ansätze und Materialien für die politische Bildung und setzt sie in die Praxis um.

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