Mit der Wahl des neuen Landesvorstands unter der Doppelspitze Beatrix von Storch und Georg Pazderski im Januar 2016 hat die Berliner »Alternative für Deutschland« (AfD) einen deutlichen Schritt nach rechts gemacht. Pazderski ist zwar um ein gemäßigtes Erscheinungsbild bemüht, fordert aber selbst, etwa aus »betriebswirtschaftlichen Gründen«, die Streichung des Asylartikels aus dem Grundgesetz und spricht Gender Studies mit der Begründung »Wir bestreiten das, das ist nicht richtig« die Wissenschaftlichkeit ab. Pazderski und von Storch sind auch Mitglieder im Bundesvorstand und somit bestens eingebunden in die innerparteilichen Machtstrukturen. Im derzeitigen Machtkampf »Pro oder Contra Frauke Petry« verhält sich der Berliner Landesverband ruhig und opportun in beide Richtungen. Auch hinter den Kulissen sind diesbezügliche Dispute nicht wahrnehmbar.
Pazderski ist Vorsitzender der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus (AGH), die gut vernetzte »Lebensschützerin« Beatrix von Storch sitzt im EU-Parlament. Beide kandidieren nun für den Bundestag. Während von Storch auf Platz 1 der Landesliste sicher einziehen wird, müsste Pazderski sein Direktmandat gewinnen. Auf den weiteren ersten fünf Listenplätzen schickt die AfD eher »bürgerliche« und teils prominente KandidatInnen ins Rennen. Auf Platz 2 tritt der Physiker Gottfried Curio an, gefolgt von Gymnasiallehrer Götz Frömming, einem der Verbliebenen aus dem alten, eher nationalliberalen Landesvorstand. Auf Listenplatz 4 steht mit Birgit Masack-Winkemann eine Richterin vor Nicolaus Fest auf Platz 5. Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der »Bild am Sonntag« und Sohn des Historikers Joachim Fest war 2016 medienwirksam in die Berliner AfD eingetreten.
Das Landeswahlprogramm zur Berlin-Wahl 2016 sowie die offiziellen Verlautbarungen des Vorstands sind zwar vergleichsweise moderat, doch auch hier lassen sich insbesondere zu den Themen Flucht und Asyl, Islam und Gender reaktionäre bis antidemokratische Positionen finden. Das gesprochene Wort ist da meist sehr viel deutlicher. Die BundestagskandidatInnen Curio, Masack-Winkemann wie auch Fest wissen sehr genau, sich bei aller Schärfe an das rechtlich Sagbare zu halten. Andere, wie der für seine völkisch-rassistischen Ausfälle berüchtigte Landesparlamentarier Andreas Wild, sind da sehr viel offensiver. In der Berliner AfD wird dies nicht nur akzeptiert, sondern regelrecht honoriert. So tritt Wild ausgerechnet im migrantisch geprägten Neukölln als Direktkandidat an.[1] Welche Ziele er verfolgt, gab er bereits im Januar 2017 dem rbb in einem Fernseh-Interview zu Protokoll. So wolle er »in Neukölln auch wieder deutsche Bevölkerung haben« und kündigte als Lösung an, »die Umvolkung, die stattgefunden hat, wieder in eine andere Richtung zu lenken«. Denn seiner Meinung nach könnten nur diejenigen deutsch sein, »die deutsche Eltern haben«.
Auch an anderer Stelle zeigt sich, dass der Landesverband dieses ‹Laissez faire› im Umgang mit radikalen Rechtsauslegern so lange verfolgt, bis der öffentliche Druck so groß ist, dass ein drohender Schaden für die AfD nicht mehr abzuwenden ist. Daher werden die ideologischen und personellen Überschneidungen zwischen der »Jungen Alternative« (JA) Berlin und der »Identitären Bewegung« (IB) auch trotz Abgrenzungsbeschluss geduldet. Über Jannik Brämers Aktivitäten für die IB wurde seit über einem Jahr in der Presse berichtet. Letztlich verlor er jedoch erst dann sein Amt als Schatzmeister der Berliner JA, als er per Haftbefehl gesucht wurde. Er hatte bei einer IB-Aktion im Mai 2017 in Berlin fast einen Polizisten angefahren und war dann geflohen. Heribert Eisenhardts Beteiligung an Bärgida sowie einem Neonazi-Aufmarsch hatte entgegen mehrfacher Ankündigungen bisher keinerlei Konsequenzen. Er übt weiterhin sein Mandat in der Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) für die AfD aus.
Auf parlamentarischem Parkett
Am 18. September 2016 ist die Berliner AfD mit 14,2 Prozent und 25 Abgeordneten (davon fünf Direktmandate) ins AGH gewählt worden. Sie zog zudem in alle zwölf Bezirksverordnetenversammlungen ein und wurde in Marzahn-Hellersdorf mit 23,3 Prozent gar zweitstärkste Fraktion. Insgesamt hat die AfD im Land Berlin 122 Mandate plus sieben Stadträte, lediglich 19 Mandate (knapp 16 Prozent) werden von Frauen ausgeübt. Bei der parlamentarischen Arbeit lässt sich ein Wechselspiel von Provokation und tatsächlicher Sacharbeit beobachten. Während einige Verordnete offen rassistisch agitieren, treten andere bieder seriös auf. Häufiger als in den BVVen sind die parlamentarischen Initiativen im AGH vermehrt ideologiegeleitet. So stellte Thorsten Weiß, Vorsitzender der JA Berlin parallel zu einer Kampagne der IB gegen den Verfassungsschutz eine Anfrage, welche »tatsächlichen Anhaltspunkte« der Verfassungsschutz habe, dass die IB eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei. Bei einer Vielzahl ihrer parlamentarischen Initiativen bedient die AfD explizit oder implizit rassistische Vorurteile. Weniger bei diesen Initiativen, aber vermehrt in Redebeiträgen werden Agitationen gegen Gender Mainstreaming und antifeministische Positionen vertreten.
Angesichts der sinkenden Umfragewerte stellt sich die Frage, wie lange die Berliner AfD bezüglich des parteiinternen Machtkampfs diesen ausweichenden Kurs weiterfahren kann oder ob sie sich im Zuge des Wahlkampfs nicht doch für eine Seite wird entscheiden müssen.
Dieser Text erschien zuerst in »der rechte rand – magazin von und für antifaschistInnen« Nr. 167.
- ↑ UPDATE VOM 19. JULI 2017: Die Ereignisse überschlagen sich. Nach innerparteilichen Querelen und einem Parteiaustritt aufgrund seiner anhaltend rassistischen Äußerungen wird Andreas Wild doch nicht Direktkandidat für die Bundestagswahl in Neukölln. Wenige Tage vor Erscheinen dieses Artikels wurde Frank-Christian Hansel am 16. Juli in letzter Minute als Direktkandidat bestimmt. Am 18. Juli wurde Andreas Wild darüber hinaus aus der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus ausgeschlossen. Parteimitglied soll er aber zunächst bleiben.