26. July 1994Jan Wnenczak ertrinkt nach Streit in der Spree

Die Halbinsel Stralau Foto: CC-BY-SA 3.0 Clemensfranz

In der Nacht zum 26. Juli 1994 ertrank Jan Wnenczak in der Nähe der Halbinsel Stralau in Friedrichshain in der Spree. Zuvor war es zum Streit zwischen den beiden Polen Ryszard M. und Jan Wnenczak und einer Gruppe junger Deutscher gekommen.

Auslöser dieses Streits sei laut Medienberichten der Umstand gewesen, dass M. und Wnenczak zwei Mädchen aus der Gruppe belästigt und an Gesicht und Gesäß berührt hätten. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung wurden Jan Wnenczak und Ryszard M. misshandelt, in die Spree getrieben und anschließend gewaltsam daran gehindert, zurück ans Ufer zu kommen. Beide waren offenbar stark alkoholisiert. Eine zufällig vorbeikommende Polizeistreife konnte nur noch einen der beiden retten. Jan Wnenczak ertrank beim Versuch, an das gegenüberliegende Ufer zu gelangen. Laut Recherchen von Zeit-Online berichtete die eingetroffene Polizeistreife von Rufen wie „Polacken, verpisst Euch!“ und „Lasst den Polen nicht raus!“

Im Mai des Folgejahres wurden fünf 19- bis 25-jährige Männer und zwei 16- und 17-jährige Mädchen wegen Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Körperverletzung beziehungsweise Beihilfe zu Bewährungsstrafen und Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren verurteilt. Der Tagesspiegel berichtete zum Hauptangeklagten Mario G., dieser habe Jan Wnenczak bis zur Flussmitte verfolgt, dann von ihm abgelassen und anschließend den wehrlosen Ryszard M. geschlagen und dessen Kopf mehrfach unter Wasser gedrückt. Die Zeitung zitiert die Einschätzung des Richters wie folgt: „Als ausgebildeter Vereinssportler und geübter Schwimmer habe Mario G. erkennen müssen, daß Jan W[nenczak] keine Chance hatte lebend ans andere Ufer zu kommen.“

Trotz der berichteten rassistischen Rufe wurde seitens des Gerichts keine rechte beziehungsweise rassistische Tatmotivation erkannt. In einer Stellungnahme des Berliner Innensenators aus dem Jahr 2011 ist zu lesen:

„Das Gericht stellte eindeutig fest, dass fremdenfeindliche Motive auszuschließen sind. Keiner der Täter hatte Vorerkenntnisse aus dem Bereich PMK – rechts. Es handelt sich insofern nicht um eine Tat des Phänomenbereiches PMK – rechts.“[1]

Inwiefern „Vorerkenntnisse“ konstitutiv für eine Einordnung einer Straftat als politisch rechts motiviert sind, blieb das Geheimnis des Senators.

Aktualisierung: Im Mai 2018 veröffentlichten Wissenschaftler*innen des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin eine umfassende Untersuchung der Fälle von Todesopfern rechter Gewalt zwischen 1990 und 2008 in Berlin. Diese enthält diverse Schilderungen der untersuchten Gewaltverbrechen. Die Wissenschaftler*innen kommen zu dem Schluss, dass der Fall „durchaus Merkmale von politisch motivierter Gewalt i. S. des KPMD-PMK [Anm. d. Red.: Kriminalpolizeilicher Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität]“ aufweise, „da polenfeindliche Ressentiments bei der Entstehung und Gestaltung der Tat eine Rolle spielen“, diese seien aber „eher akzidentell“. „Zentral für das Verständnis der Tat“ seien hingegen „die gruppendynamischen Aspekte im Zusammenhang mit der vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung“. Laut Studie sollte die Tat deshalb nicht als PMK-Fall klassifiziert werden.

Ihre Einschätzung begründen die Wissenschafler*innen folgendermaßen:

„Unabhängig davon, dass bei den einzelnen Täterinnen und Tätern keine explizite politische Gesinnung vorliegt, verweist der mehrmalige Gebrauch polenfeindlicher Ausdrücke deutlich auf das Vorhandensein entsprechender Ressentiments. Dass diese Ressentiments sich auf Entstehung und Gestaltung der Tat ausgewirkt haben, lässt sich am Kontext ablesen, in dem die Äußerungen fallen. So wird beim Aufruf, die beiden Männer nicht mehr aus dem Wasser zu lassen, der Begriff ‚Pollacke‘ benutzt. Die aggressive Absicht wird durch den Verweis auf die polnische Nationalität quasi legitimiert. Ähnlich verhält es sich, wenn Schuldgefühle durch die Äußerung, ‚es hätte sich ja nur um einen Pollacken gehandelt‘, abgewehrt werden. […] Andererseits ist aber auch recht deutlich, dass das polenfeindliche Ressentiment nicht der eigentliche Anlass für die Tat ist. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Tat gegen Polen als gesellschaftliche Gruppe gerichtet war. […] Da die Täter den beiden Opfern einen ‚Denkzettel‘ geben wollten, könnte man ansatzweise von einer Bestrafungsaktion sprechen. Tatsächlich verstehen sie sich aber zu keinem Zeitpunkt so, als handelten sie im Dienst einer höheren Macht oder stellvertretend für staatliche Institutionen.“

Faksimile Tagesspiegel vom 28. Juli 1994
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