In all den Jahren fiel uns von ReachOut die Aufgabe zu, unsere Erkenntnisse über rechte, rassistische, antisemitische Gewalt und Bedrohung zusammenzufassen und einzuordnen. Jedes Jahr aufs Neue die Frage, was diese Angriffszahlen aussagen, wen das eigentlich interessiert und was daraus folgt! Und: Ist nicht schon längst alles gesagt? Zahlen schwanken, Neuigkeiten wollen wir liefern und lesen und irgendwie bleibt alles wie es ist. Oder? Natürlich haben wir die Veröffentlichung der Angriffszahlen ergänzt mit Berichten von Betroffenen, mit Kritik an der Arbeit der Ermittlungsbehörden, der Justiz, kurz mit dem Alltag von ReachOut als Beratungsstelle für die Betroffenen.
Zurückschauen auf die letzten 10 Jahre Schattenberichte
Dabei fiel mir ganz nebenbei auf, dass es weitere Jubiläen gibt: 15 Jahre ReachOut und MBR, und das apabiz ging vor 25 Jahren an den Start. Aber so richtig in Feierstimmung ist wohl niemand. Dass wir alle einen langen Atem brauchen, in unserer praktischen Arbeit, in unseren politischen Kämpfen, haben wir gewusst. Aber dass wir so schnell wieder in einer Situation agieren müssen, die mehr und mehr an die Pogromstimmung Anfang der 90er Jahre erinnert, war zumindest uns noch im letzten Sommer nicht wirklich klar. Bis dahin hatten wir den Eindruck, dass entgegen dem bundesweiten Trend für Berlin nicht von einem Anstieg der Angriffszahlen auszugehen ist. Es schien so, als ob diejenigen, die die ankommenden Geflüchteten unterstützten und an den Bahnhöfen begrüßten, diesmal lauter und mehr waren. Die Medien feierten die neue „Willkommenskultur“, selbst die Politiker_innen lobten die Bemühungen der Ehrenamtlichen und hielten sich zunächst mit rassistischen Hetzreden zurück. Kaum fassbar, wie schnell die Stimmung umschlug, als die ehrenamtlichen Helfer_innen erschöpft waren, geflüchtete Menschen weiterhin kamen und der Staat einfach seine Pflichten nicht wahrgenommen hat, um diese Menschen zu versorgen, mit dem Notwendigsten: Nahrung und Unterkünfte. Die Ehrenamtlichen übernehmen seitdem staatliche Aufgaben, einfach aus Respekt vor denen, die von staatlichen Stellen bewusst nicht versorgt werden um abzuschrecken. Hinzu kommen Bilder und Berichte über die Not der Menschen vor dem LaGeSo, brutale Sicherheitsdienstmitarbeiter_innen, die nicht nur vor und im LaGeSo, sondern auch in den Unterkünften zuschlugen.
In Berlin wurden unseres Erachtens bewusst Bilder und Stimmungen erzeugt, die dazu beitrugen, dass die rassistisch motivierten Angriffe auch auf Geflüchtete und deren Unterstützer_innen anstiegen. Vor diesem Hintergrund bleibt der Eindruck, dass nur wenig von dem, was wir tun, angemessen sein kann. Doch Jammern hilft nicht. Und es bleibt uns sowieso keine andere Wahl, als weiter zu reden, zu demonstrieren, zu schreiben, solidarisch zu sein, zu unterstützen, zu skandalisieren, zu kritisieren und standzuhalten gegen rassistische Hetze, Angriffe, Bärgida und staatlich organisierte Untätigkeit.
Auseinandersetzung mit Rassismus-Debatten
Also: Blättern in den Schattenberichten. Das Vorwort für den ersten Schattenbericht 2006 schrieb Birgit Rommelspacher. Damals hatte sie wenig Zeit, bescheiden gab sie auch zu bedenken, dass sie doch gar nicht mehr so sehr die aktuellen Debatten um Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus mit führe. Wir waren sehr froh, als sie schließlich zusagte, weil sie das neue Projekt unterstützen wollte. Birgit Rommelspacher war immer solidarisch mit unseren Anliegen, war da, wenn wir sie brauchten, bei öffentlichen Diskussionen, für Publikationen und auch bei den Kämpfen um eine Weiterfinanzierung. Und sie hat sich immer wieder eingemischt, hat gestritten – sehr klug, sehr klar, sehr leidenschaftlich. 2010, nach Erscheinen der rassistischen, zutiefst antimuslimischen Hetzschrift von Thilo Sarrazin und dem darauf folgenden lauten Erstarken des antimuslimischen Rassismus – nach dem Motto, das wird man ja wohl sagen dürfen – bei den sogenannten islamkritischen Feministinnen wie Alice Schwarzer, Necla Kelek, Seyran Ates und Co. war sie eine der wenigen klugen Stimmen, die sich zu Wort gemeldet haben. Zu einem Zeitpunkt, als es in Deutschland noch verpönt war, überhaupt von Rassismus zu sprechen, prägte Birgit Rommelspacher Mitte der 1990er Jahre den Begriff der Dominanzkultur, thematisierte den Rassismus als strukturelle, dominante Norm der Gesellschaft. Diese Thesen sind bis heute für unsere Arbeit unverzichtbar. Es wäre schön gewesen, sie 10 Jahre später noch einmal um ein Vorwort, um einen Blick zurück und nach vorne bitten zu können. Am 15. April 2015 starb Birgit Rommelspacher. Farewell Birgit, du fehlst.
Die Struktur hat sich verbessert – die Situation nicht
Blick zurück: Unser erster Schattenbericht-Artikel begann mit dem Satz: „Mit 155 Angriffen im Jahr 2006 stieg die Anzahl rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten so hoch wie nie zuvor seit dem Bestehen von ReachOut.“ Für 2015 könnte der zugegeben nicht besonders schöne Satz dennoch einfach so bleiben: Mit 320 Angriffen im Jahr 2015 stieg die Anzahl rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten so hoch wie nie zuvor seit dem Bestehen von ReachOut.
Noch etwas fällt auf: Nicht immer bedeutet ein Anstieg der Angriffszahlen, dass tatsächlich mehr geschieht. Häufig ist das auch der Tatsache geschuldet, dass es neue Projekte gibt, die genauer hinschauen. Gab es doch 2006 nur in den Ostberliner Bezirken gut funktionierende Strukturen und Registerstellen, die die Vorfälle recherchierten und dokumentierten. Mittlerweile ist es uns durch die Einrichtung einer Koordinierung für die Registerstellen gelungen, dafür zu sorgen, dass es in allen Berliner Bezirken diese gibt. Das bedeutet dann eben auch, dass wir schneller davon erfahren, wenn Angriffe stattfinden, aber auch wenn die Stimmung in einem Bezirk umschlägt.
Alles anders seit dem NSU?
Blick zurück: Die neue Zeitrechnung im Kontext der politischen Arbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus, auch im Kontext unserer Beratungs- und Unterstützungsarbeit teilt sich in die Jahre vor und nach der Selbstenttarnung des NSU. Die Bilanz ist bitter. Ja, Projekte und Einzelpersonen warnen schon mindestens seit den 1980er Jahren vor den terroristischen Strukturen von Neonazis. Ja, wir haben seit der Gründung von ReachOut und auch davor immer wieder darauf hingewiesen, dass Opfern rassistischer Gewalt von den Ermittlungsbehörden nicht geglaubt wird, dass sie stattdessen verdächtigt werden und ihnen vorgehalten wird, es gäbe ganz andere Gründe für den Angriff oder sie seien selbst schuld daran. Wir haben skandalisiert, dass die Opfer zu Täter_innen gemacht werden, dass rassistische Motive nicht ermittelt werden. Dennoch haben schon viele kluge Menschen darauf hingewiesen, dass es uns allen einfach nicht gelang, die Morde des NSU einzuordnen, nachzufragen, mit den Angehörigen zu sprechen.
Eine Zäsur hat es nicht gegeben. Die unverzichtbare, großartige Arbeit von NSU-Watch beispielsweise wird nicht finanziert.
Stattdessen gab es blinde Flecken in unseren eigenen Projekten und Strukturen. Ja, viele Kolleg_innen in den fachspezifischen Beratungsstellen sind seit 2011 misstrauischer geworden bei ihren Recherchen. Und: Ja, wir bestehen darauf, dass auch die Motive für den Mord an Burak Bektaş ermittelt werden. Aber von den Lippenbekenntnissen politisch Verantwortlicher, die Betroffenheit heucheln, ist nichts geblieben – eine Ohrfeige für die Opfer des NSU und ihre Angehörigen. Eine Zäsur hat es nicht gegeben. Die unverzichtbare, großartige Arbeit von NSU-Watch beispielsweise wird nicht finanziert. Trotz vieler Argumente und Einwände: Die These vom mordenden Trio scheint bequemer, als von einem Netzwerk ausgehen zu müssen.
Und angesichts der aktuellen Angriffe auf Geflüchtete und deren Unterkünfte? Das Tagesgeschäft der politisch Verantwortlichen geht weiter. Von Empathie und Betroffenheit keine Spur. Eine klare Geste der Ignoranz gegenüber all denjenigen, die aktuell Schutz in diesem Land suchen und stattdessen Neonazis und Rassist_innen schutzlos ausgeliefert werden. Die wiederum können sich in ihrem Tun bestätigt fühlen von den geistigen Brandstiftern, die sich in den Medien Gehör verschaffen. Apropos geistige Brandstifter.
Eine klare Geste der Ignoranz gegenüber all denjenigen, die aktuell Schutz in diesem Land suchen und stattdessen Neonazis und Rassist_innen schutzlos ausgeliefert sind.
Es ist nicht das erste Mal, dass mir zu diesem Thema ausgerechnet Angela Merkel einfällt. Einfach, weil sie so deutlich werden lässt, von wieviel Heuchelei die Betroffenheitsbekundungen der politisch Verantwortlichen nach der Selbstenttarnung des nsu geprägt waren: „Doch Intoleranz und Rassismus äußern sich keineswegs erst in Gewalt. Gefährlich sind nicht nur Extremisten. Gefährlich sind auch diejenigen, die Vorurteile schüren, die ein Klima der Verachtung erzeugen. Wie wichtig sind daher Sensibilität und ein waches Bewusstsein dafür, wann Ausgrenzung, wann Abwertung beginnt. Gleichgültigkeit und Unachtsamkeit stehen oft am Anfang eines Prozesses der schleichenden Verrohung des Geistes. Aus Worten können Taten werden.“ So mahnte die Bundeskanzlerin im Februar 2012 im Rahmen der Gedenkveranstaltung für die Opfer des NSU. Wie aus Worten Taten werden und umgekehrt, ist auch in Berlin im Augenblick offensichtlich. Die aktuellen Angriffszahlen korrespondieren auf erschreckende Weise mit der Ignoranz und den rassistischen Äußerungen der politisch Verantwortlichen. 1993 war die Antwort auf Rostock Lichtenhagen und Hoyerswerda die Verschärfung des Asylrechts. 2016 ist die Antwort auf den bundesweiten Anstieg rassistischer Gewalt und Anschläge gegen Unterkünfte die Schließung der EU-Außengrenzen und die Verschärfung des Asylrechts. Die Gewinner_innen sind die Schläger auf der Straße, Pegida, AfD und Co. Tja, da wären die Warnungen von Frau Merkel zu ergänzen: Aus Taten können noch rassistischere Gesetze werden. Wer eigentlich braucht denn da noch die AfD? Das erledigen die demokratischen Parteien ganz alleine.
Doch nun zu den brutalen Fakten
Es sind also 320 Angriffe, die ReachOut für das Jahr 2015 (2014: 179) dokumentieren muss. Dabei wurden mindestens 412 (2014: 266) Menschen verletzt, gejagt und massiv bedroht. Darunter befanden sich 42 Kinder. Rassismus stieg an und war mit 175 Taten das häufigste Motiv (2014: 100). Politische Gegner_innen wurden 59 Mal (2014: 31) attackiert. Die antisemitisch motivierten Taten stiegen von 18 auf 25 Angriffe an.
Der größte Teil der Angriffe fand in aller Öffentlichkeit statt: 120 Angriffe (2014: 107) wurden auf Straßen und Plätzen verübt. An Haltestellen, Bahnhöfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln geschahen 65 Gewalttaten und Bedrohungen (2014: 37). Allein im Umfeld von Geflüchtetenunterkünften geschahen 43 Angriffe. Journalist_innen waren 10 Mal betroffen. Sie wurden im Zusammenhang mit extrem rechten, rassistischen Demonstrationen attackiert.
Je massiver und andauernder die rassistischen Proteste gegen Geflüchtete sind, desto häufiger werden offensichtlich Menschen geschlagen und bedroht. Dazu zählen auch diejenigen, die sich gegen Rassismus, Rechtspopulismus und für die Geflüchteten engagieren. Auch Aktivist_innen, die öffentlich ihre Solidarität mit den Geflüchteten zum Ausdruck bringen, sind häufig Bedrohungen und körperlichen Angriffen ausgesetzt.
Im Stadtteil Marzahn fanden 47 (2014: 5) und somit stadtweit die meisten Angriffe statt. Davon waren 23 der Gewalttaten rassistisch motiviert. Danach folgen Hellersdorf mit 24, Tiergarten mit 23, Mitte mit 21, Neukölln mit 19, Schöneberg mit 18 und Charlottenburg mit 17 Angriffen.
Bei den meisten von uns dokumentierten Angriffen handelt es sich um Körperverletzungen (155) und gefährliche Körperverletzungen (96).
Unverzichtbar wäre es, dass sich die politisch Verantwortlichen in Berlin und in den Bezirken konsequent gegen solche Entwicklungen positionieren und die Gewalttaten öffentlich verurteilen und die körperliche und psychische Unversehrtheit derjenigen, die zum Ziel von Neonazis und sogenannten besorgten Bürger_innen werden, gewährleisten. Angeheizt hingegen wird die rassistische Stimmung zusätzlich, wenn Politiker_innen demokratischer Parteien die Situation der Geflüchteten verharmlosen, Gesetzesverschärfungen beschließen und für schnellere Abschiebungen plädieren.
Was tun?
Ähnlich hohe Angriffszahlen wie im vergangenen Jahr in Marzahn mussten wir für 2006 in Friedrichshain dokumentieren. Dort entstand, sofort als klar wurde, dass es vermehrt zu Angriffen im Stadtteil kommt, die sehr aktive Initiative gegen rechts. Der Initiative gelang ein breites Bündnis von Antifaschist_innen bis zu Bezirkspolitiker_innen, die auf die Situation offensiv und mit vielfältigen Aktionen reagierten. Mittlerweile ist selbst die jährlich stattfindende Biermeile keine Wohlfühloase mehr für Neonazis und andere Rassist_innen. Der konsequenten, entschlossenen und öffentlichkeitswirksamen Arbeit des Bündnisses ist es zu verdanken, dass die Organisator_innen der Biermeile reagiert haben, für Handlungsstrategien offen waren und eine Festivalordnung entwickelt haben. Rechte Treffpunkte und Läden wurden geschlossen, eine bezirkliche Registerstelle wurde auf den Weg gebracht. Angriffe gibt es noch immer, aber die Zahl liegt mit 13 Gewalttaten und Bedrohungen im berlinweiten Vergleich im unteren Drittel.
Antifaschistische Initiativen und deren Aktivist_ innen im Bezirk werden bis heute diffamiert und nicht einbezogen, wenn es darum geht, Strategien gegen Rechts und Rassismus zu entwickeln.
In Marzahn und Hellersdorf schien es in den vergangenen Jahren so, als gäbe es eigentlich so gut wie gar keine Angriffe. Das jedenfalls waren Erkenntnisse des bezirklichen Verzeichnisses. Als Grund dafür wurde die erfolgreiche Strategie der Bezirkspolitik am „Ort der Vielfalt“ angeführt. Unser Eindruck war dagegen, dass vieles unbekannt, undokumentiert blieb. Wir erinnern uns, dass schon der Schattenbericht 2013 auf die unmenschliche Situation von Geflüchteten im Bezirk, aber auch von den massiven Bedrohungen, mit denen die Aktivist_innen von Hellersdorf hilft konfrontiert waren, berichtet hat. Die Bürgerversammlungen, die stattfanden, um über die Eröffnung von Unterkünften für Geflüchtete zu informieren, waren geprägt von rassistischer Hetze und den verbalen Entgleisungen wütender Bürger_innen, die Unterstützung bei der NPD fanden. Die Verantwortlichen vor Ort reagierten zu häufig und wohl auch zu lange mit Verständnis für die „Ängste besorgter Bürger_innen“, die man ernst nehmen müsse. Angst? Wovor? Warum? Die Ängste derjenigen, die dann nicht nur von organisierten Neonazis sondern auch von den ängstlichen Bürger_innen gejagt, bedroht und geschlagen wurden, waren kaum Thema. Es sei denn, sie gingen wie die Aktivist_innen von Hellersdorf hilft selbst an die Öffentlichkeit. Antifaschistische Initiativen und deren Aktivist_innen im Bezirk werden bis heute diffamiert und nicht einbezogen, wenn es darum geht, Strategien gegen Rechts und Rassismus zu entwickeln. Das Bild zur Angriffssituation wurde plötzlich klarer, als sich im Herbst 2013, nachdem es zu Angriffen im Umfeld der Geflüchtetenunterkunft in der Carola-Neher-Straße kam, an der Alice-Salomon-Hochschule ein zusätzliches antirassistisches Register gründete. Sonderbar, plötzlich stiegen die Angriffszahlen sowohl in Hellersdorf als auch in Marzahn. Das heißt, es gab nun eine zusätzliche Perspektive auf die Situation, die eng verknüpft war mit dem Eingebundensein in antifaschistische, zivilgesellschaftliche Aktivitäten vor Ort, mit Aktivist_innen, die sich solidarisch und entschlossen auf die Seite der Geflüchteten stellten und somit auch selbst bedroht und angegriffen wurden.
Es könnte besser laufen
Die Art und Weise, wie die Situation in Marzahn-Hellersdorf in den letzten Jahren eskalierte, obwohl genügend Menschen genau davor gewarnt haben, wie dennoch geschwiegen, beschönigt und nicht reagiert wurde, zeigt im Gegensatz zu Friedrichshain oder auch Treptow, dass Wegschauen noch nie geholfen hat ebenso wenig der Hinweis, dass die Situation in anderen Bundesländern noch schlimmer ist. Noch im September 2015 erklärt der Bezirksbürgermeister Stefan Komoß die Situation im rbb-Interview so: „Sie haben sofort Sorgen, dass das Einfamilienhaus an Wert verlieren könnte, dass sich Einbrüche häufen, dass sie abends nicht mehr sicher spazieren gehen können. Da kommen Urängste hoch.“ Darum müssten Anwohner_innen und Geflüchtete möglichst früh miteinander Kontakt haben. Kontakt gegen „Urängste“ als Strategie? Und wenn der Kontakt in den Sportvereinen und Stadteilzentren nicht zustande kommt? Aus der Perspektive der Betroffenen, die sich teilweise kaum noch aus den Unterkünften wagen, würde das bedeuten: Selbst schuld? Eine klare Ansage, dass Bedrohungen, Beleidigungen und Schläge einfach mal strafbar sind und ein bisschen mehr Verständnis für die Situation der Geflüchteten würden sicher helfen. Stattdessen werden geflüchtete Menschen nicht nur in Hellersdorf und Marzahn fast ausschließlich als „Krise“ gesehen und dargestellt. Da bleibt kein Platz für Empathie. Der Blick zurück macht wenig Mut. Dennoch: Es bleibt richtig und notwendig, diejenigen zu unterstützen und zu beraten, die gejagt, bedroht und angegriffen werden, das Ausmaß der Gewalt zu erfassen und nicht denen die Definitionsmacht zu überlassen, die lauter sind und sich mit dem Geschwätz über schnelle und einfache Lösungen Gehör verschaffen. Manchmal bleibt auch uns nur zu skandalisieren und – obwohl es so scheint, als sei längst alles gesagt – weiterhin unseren Beitrag zum Schattenbericht zu liefern. Der Schattenbericht jedenfalls versammelt mehr Wissen, Kompetenz und Weitsicht als jeder Verfassungsschutzbericht. Aber der wird ja nicht mehr geschrieben, wenn wir es endlich erreicht haben, die Geheimdienste abzuschaffen.
ReachOut ist die Berliner Beratungsstelle für Opfer rassistischer, antisemitischer und rechter Gewalt. Unterstützung finden auch Angehörige der Opfer und die Zeug_innen eines Angriffs. Das Team bietet außerdem Workshops, Veranstaltungen und Fortbildungen an. Das Projekt recherchiert Angriffe in Berlin und veröffentlicht dazu eine Chronik.