Anspruch und Aufgabe emanzipatorischer antifaschistischer Bildungsarbeit – wie wir als apabiz und unser Netzwerk sie verstehen und praktizieren – ist es, Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Heterosexismus und Antifeminismus in möglichst allen Facetten als diskriminierende Herrschaftsverhältnisse zu benennen und als gesamtgesellschaftliche Probleme zu kritisieren. Über eine Wissensvermitlung hinaus verfolgen wir das Ziel, jungen und alten Menschen die Fähigkeiten zu vermitteln, selbstständig diese Herrschaftsverhältnisse zu erkennen, ihnen entgegen zu wirken und sich für eine offene emanzipatorische Gesellschaft zu engagieren.
Mit ressentimentgeladenen Thesen zu den Themen Nation, Asyl und Islam lassen sich derzeit Massen erreichen. Das zeigen die Wahlerfolge der AfD und die bundesweiten rassistischen und extrem rechten Aufmärsche von PeGiDA und »Nein zum Heim«-Initiativen. Sie sind allerdings nur Teil eines extrem rechten Potentials, das wissenschaftliche Einstellungserhebungen schon seit Jahren regelmäßig belegen.[1] In diesem Kontext ist auch der Erfolg der Südtiroler Deutschrock-Band Frei.WilD zu betrachten, die mit ihren Alben hohe Charts-Platzierungen erreicht und große Konzerthallen füllt. Während die AfD der quasi parteiförmige Ausdruck von PeGiDA ist, liefert Frei.WilD den inhaltlich passenden Soundtrack dazu. Weder die Band noch pauschal deren Fans können als Neonazis bezeichnet werden. In ihren Texten und Aussagen aber vertritt die Band einen völkischen Nationalismus und aggressive abwertende und ausgrenzende Thesen. Gleichzeitig betont die Band »gegen Extremismus«, aber auch gegen die etablierte Politik und gegen die »Lügenpresse« zu sein.
Farins Buch: Manifest für Fans und keine Studie
Der Jugendforscher und Gründer des Archivs der Jugendkulturen, Klaus Farin, hat nun unter dem Titel »Frei.Wild – Südtirols konservative Antifaschisten« eine Publikation über die Band und deren Fans veröffentlicht, die konträr zu unserer Einschätzung steht. Farin hat Frei.Wild über einen Zeitraum von zwei Jahren immer wieder getroffen, die Band interviewt und über einen Online-Fragebogen die Meinung von 4.206 Fans eingeholt. Herausgekommen ist in erster Linie ein Hochglanz-Fanbuch mit Hunderten von privaten und inszenierenden Fotos der Band-Fotografen sowie Homestories der Musiker. Die wenigen kritischen Stimmen, die auch im Buch zu finden sind, können darüber nicht hinwegtäuschen. Die visualisierte und kommentierte Auswertung der Fan-Befragungen erweckt den Eindruck einer wissenschaftlichen Studie. Und auch Farins Ankündigung im Vorwort suggeriert das: »Wenn ich jemals studiert hätte, wäre das jetzt wohl meine Dissertation.« Außerdem formuliert er die Hoffnung, dass das Buch vielen »Lehrer_innen […] Universitäten und im Rahmen der politischen Bildung« als Hintergrundinformation oder gar Bildungsmaterial diene und verweist auf eine »Unterrichtsanregung« im Anhang.
Doch bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass wissenschaftliche Standards nicht eingehalten werden. Zentrales Problem ist, dass Farin die notwendige Distanz zum Forschungsobjekt nicht wahrt. Unkritisch und widerspruchslos verteidigt Farin nicht nur die Positionen der Band, sondern macht sich deren Argumentationen zu eigen: alles »patriotisch« und »unpolitisch« – zwar nicht »links«, aber deshalb noch lange nicht problematisch. Es überrascht daher nicht, dass der Autor in seinem Forschungsfeld äußerst beliebt ist: Es finden gemeinsame Autogrammstunden mit Farin und Frei.Wild oder anderen Deutschrock-Bands statt. In den sozialen Netzwerken reagieren die Fans begeistert auf das Buch.
Offensive Ausblendung
Grundsätzliche Kritik aus Sicht emanzipatorischer Bildungsarbeit an Farins Buch ist, dass er durch Ausblendung und Entpolitisierung eher in Richtung eines extremismusideologischen Ansatzes der staatlichen Behörden tendiert und die extreme Rechte auf Staatsfeindlichkeit und Gewalt reduziert. Obwohl Farin keine Definitionen der verwendeten Terminologien liefert, wird offensichtlich, dass sich seine Vorstellung von rechten Ideologien auf deren pro-nationalsozialistische, offene und brachiale Ausdrucksformen beschränkt.
Das Buch bietet viele Angriffspunkte, ein Beispiel[2]: Farin behauptet, Frei.Wild könnten nicht nationalistisch sein, da Südtirol keine Nation sei. Allenfalls handele es sich um ausgeprägten regionalen Patriotismus, der aufgrund der besonderen Rolle Südtirols unproblematisch sei. Im Interview fragt Farin den Frei.Wild-Sänger Philipp Burger: »Gibt es für dich einen Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus – abgesehen davon, dass ihr als Südtiroler eigentlich gar keine Nationalisten sein könnt – ihr seid ja nicht mal eine…«. Burger übernimmt: »Nein, Südtirol ist kein Staat, uns wegen unseren Texten über dieses Land Nationalismus vorzuwerfen, grenzt schon an politisch-geschichtliche Missbildung.« Farin ignoriert damit nicht nur gängige sozialwissenschaftliche Studien, die sehr wohl einen Nationalismus ohne Nation belegen, sondern legt seinem Gegenüber zudem seine These quasi in den Mund.
Entgegen Farins Behauptung formulieren Frei.Wild sehr wohl nationalistisches Ausschlussdenken. Textzeilen wie »Wo soll das hinführen, wie weit mit uns gehen? Selbst ein Baum ohne Wurzeln kann nicht bestehen.« aus dem Song »Wahre Werte« sind eine reaktionäre, völkische und biologistisch-rassistische Metapher. Menschen werden als biologische Wesen und nicht als soziale Subjekte festgelegt und Migration damit ausgeschlossen. Weiter heißt es im Song, der zu den bekanntesten und laut der Fan-Befragung zu den beliebtesten gehört: »Wann hört ihr auf eure Heimat zu hassen? Wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen«. Eine beliebte Neonazi-Parole, die auch bei PEGIDA und Co. immer wieder skandiert wird, lautet: »Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen.« Klaus Farin kommt dennoch zu dem Schluss, dass Frei.Wild »nicht ausgrenzend« und »nicht nationalistisch« sind, sondern allenfalls einen »unproblematischen« regionalen Patriotismus besingen. So ist nicht nur Farins Nationalismusanalyse grundlegend falsch, er verkennt auch, dass Lokalpatriotismus und Regionalismus keine sonderlich progressiven Themen sind, die auch und gerade von rechts besetzt werden.
Kulturellen oder antimuslimischen Rassismus sowie sekundären Antisemitismus hinterfragt Farin nicht. So kann Gitarrist Jochen »Zegga« Gargitter auf die Frage, was für ihn rechts sei, widerspruchslos antworten, dass nichts leistende migrantische Familien besser gestellt seien als manche fleißigen Südtiroler Familien, um am Ende zu betonen, dass das keine »rechte Haltung« sei. Auch der machistisch-heteronormative Sexismus und Antifeminismus der Band erntet keinerlei Kritik von Farin – selbst dann nicht, als sich die Mitglieder darüber auslassen, warum sie niemals eine Frau in der Band haben wollen würden.
Farin arbeitet in den Interviews mit der Band wie auch bei der Konzeption des Fragebogens mit Suggestivfragen und legt so den Befragten Antworten nahe. Obwohl Frei.Wild-Sänger Philipp Burger über mehrere Jahre in der Südtiroler Naziszene aktiv war und als ehemaliger Sänger der neonazistischen Band Kaiserjäger mit Hitlergruß posierte, stellt Farin ihm die Frage »Warum bist du kein Neonazi geworden?«. Er liefert Burger, der bis heute seine Neonazi-Zeit als Jugendsünden bagatellisiert und bestreitet jemals Neonazi gewesen zu sein, damit eine Steilvorlage. Da Burger sich aber heute öffentlich gegen Neonazis positioniert, attestiert ihm Klaus Farin, seinen Ausstiegs- und Aufarbeitungsprozess »offensiv und geradezu vorbildhaft« vollzogen zu haben. In dem tatsächlich guten Kapitel zur Geschichte Südtirols kommt Farin zu dem einleuchtenden Schluss, dass sich der Antifaschismus in Südtirol vor allem gegen den italienischen Faschismus richtete und pro-nationalisozialistische Züge hatte. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der rechten Inhalte der Band ist der Titel des Buches ein Schlag ins Gesicht für alle NS-Opfer und antifaschistisch Engagierten.
Diskreditieren mit System
Geradezu beachtlich ist, mit welcher Vehemenz Klaus Farin eine eigene kritische Haltung gegenüber der Band und deren Thesen verweigert und im Gegenzug alle Kritiker_innen diskreditiert, egal wie differenziert deren Begründungen ausfallen. In verschwörungsideologischem Duktus wirft er all jenen nicht nur pauschal Uninformiertheit vor, sondern unterstellt ihnen Teil einer »Anti-Rechts-Lobby« zu sein. Diese würde aus reinem Selbsterhaltungsantrieb und eigennützigem Interesse handeln, sich der eigentlichen »Wahrheit« verstellen und Gefahren von rechts erfinden oder aufbauschen. Gleich im Vorwort heißt es: »Wenn es gegen ›rechts‹ geht, sind viele schnell dabei«. Besonders engagiert seien immer alarmierte »moralisch-emotional motivierte« Gutmenschen, die aber vom Thema keine Ahnung hätten. Außerdem gäbe es dann noch »umstrittene Pädagog_innen«, »Profiteure« und »Geschäftsleute«, denen es aus Macht-, Profit- und Geltungssucht um die »Selbsterhaltung ihrer aufgeblähten Strukturen« gehe.
Das ist genau die Rhetorik, mit der nicht nur die Band, sondern extreme Rechte argumentieren und die sich auch bei PEGIDA und Co. sowie der AfD finden lässt. Die Teilnehmenden der rassistischen Mobilisierungen gegen Geflüchtete und die Märsche gegen eine fantasierte »Islamisierung des Abendlandes« chiffrieren ihre rassistischen Ressentiments als vermeintliche »Sorgen und Ängste« und werden dabei von einigen Politiker_innen und Teilen der Presse gestützt. Wer es wagt, dem teils offenen Rassismus zu widersprechen und ihn als solchen zu benennen, wird seitens der Protestierenden wahlweise als »Vaterlandsverräter« oder »Lügenpresse« (siehe dazu S. 4) diffamiert.
Kritisch bleiben
Etwas Gutes hat das Buch von Klaus Farin letztendlich doch: Es führt noch einmal beispielhaft an Frei.Wild in aller Deutlichkeit die Notwendigkeit vor Augen, im Rahmen politischer Bildungsarbeit (extrem) rechte Ideologien und deren Ausdrucksformen in allen Facetten fern ab extremismusideologischer Deutungsweisen zu thematisieren. Klaus Farin und seine Publikation sind hier ein Negativbeispiel. Als Hintergrundinformation oder gar Bildungsmaterial, wie es im Vorwort angepriesen wird, ist das Werk nicht nur unbrauchbar sondern geradezu kontraproduktiv und wirft die Errungenschaften emanzipatorischer Bildungsarbeit um Jahre zurück. Geradezu ärgerlich ist, dass das Buch nicht nur Frei.Wild und ihren Fans als »Freispruch« dient, sondern aufgrund des Bekanntheitsgrades und der vermeintlichen Kompetenz Klaus Farins auch bei Multiplikator_innen als tatsächlich qualitativ wertvoll aufgefasst werden dürfte. Aufgabe antifaschistischer Bildungsarbeit muss es bleiben, antidemokratische und diskriminierende Herrschaftsverhältnisse nicht dann erst zu problematisieren, wenn Nazis mordend durch die Straßen ziehen. Dazugehört es auch, die antiemanzipatorischen Inhalte von Frei.Wild zu problematisieren, diese Kritik gegenüber Fans, die an Bildungsveranstaltungen teilnehmen, zu vertreten und mit ihnen kontrovers zu diskutieren.
Dieser Beitrag erschien zuerst in monitor #70 Juli 2015.
Empfehlenswerte Broschüren zur Auseinandersetzung mit Frei.Wild:
- agentur für soziale perspektiven e.V.: Grauzonen. Rechte Jugendliche Lebenswelten in Musikkulturen, Berlin 2015.
www.aspberlin.de/projekte/grauzonen.html - Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein e.V. (Hg.): Von Frei.Wild bis Rechtsrock. »Heimatliebe«, Nationalismus, Rassismus, Kiel 2014.
http://akjs-sh.de/wp-content/uploads/2015/10/Grauzone.pdf
- ↑ Die »Mitte-Studien« beziffern für 2014 bei knapp 6% der Bevölkerung in Deutschland ein geschlossenes extrem rechtes Weltbild. Nationalismus mit 14% und Rassismus mit 18% (in der Studie als Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit bezeichnet) sind dabei die höchsten Werte.
- ↑ Für weitere Beispiele siehe auch »Freispruch für Frei.Wild« von Nico Werner blog.zeit.de/stoerungsmelder/2015/06/24/freispruch-fuer-freiwild