In den letzten Tagen wurde deswegen Kritik an der Rolle der Polizei laut: Abgeordnete der Oppositionsparteien kündigten die Thematisierung im Berlin Abgeordnetenhaus an, die Bundesgeschäftsführerin der Journalistengewerkschaft dju in ver.di, Cornelia Haß sagte: „Es kann und darf nicht sein, dass die Polizei tatenlos zuschaut, wenn Journalistinnen und Journalisten an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert werden. Aber genau so wenig darf es sein, dass die Polizei offenbar tatenlos zu sieht, wenn Menschen, gleich welcher Profession bedroht oder bedrängt werden.“
Heute wandte sich der Berliner Geschäftsführer der dju in ver.di, Andreas Köhn mit einem persönlichen Schreiben an den Berliner Innensenator Frank Henkel und den Polizeipräsidenten Klaus Kandt, indem er das Verhalten der Polizei als „im höchsten Maße inakzeptabel“ bezeichnet und feststellt, „dass das hohe Gut der Pressefreiheit und die damit verbundene Unversehrtheit von Pressevertretern kein Anliegen der Berliner Polizei zu sein scheint.“ ZEIT Online dokumentiert das Schreiben:
Sehr geehrter Herr Henkel, sehr geehrter Herr Kandt,
leider müssen wir, aufgrund der Vorfälle am 17. November 2014 feststellen, dass das hohe Gut der Pressefreiheit und die damit verbundene Unversehrtheit von Pressevertretern kein Anliegen der Berliner Polizei zu sein scheint. Aussagen von Beamten der Berliner Polizei gegenüber Pressevertretern am 17. November 2014 wie: „ Wir raten Ihnen auf Distanz zu gehen, da wir Ihre Sicherheit nicht gewährleisten können.“ sind im höchsten Maße inakzeptabel. Falls, die Berliner Polizei dies nicht gewährleisten kann, hätten Sie die Möglichkeit gehabt, diesen Aufmarsch zu verbieten. Wir, die dju in ver.di Berlin-Brandenburg, erwarten für die morgige Veranstaltung in Berlin-Marzahn den Schutz der grundgesetzlich verankerten Pressefreiheit und deren Vertreter durch ihre Behörde. Der unten angehängte Screenshot von einer internen Facebookseite der Veranstalter, der u. a. Foto`s von Pressefotografen des Berliner Kurier, der taz usw. beinhaltet, lässt nichts Gutes ahnen.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Köhn
Geschäftsführer der dju in ver.di Berlin-Brandenburg
Der Pressesprecher der Berliner Polizei, Stefan Redlich bestreitet die Vorwürfe, die Polizei hätte bei den Bedrohungen am Montag weggeschaut und sagte, zur Anzeige wurden diese Vorfälle nicht gebracht. Er sprach gegenüber ZEIT Online davon, dass es der Berliner Polizei zwar bekannt sei, dass es „zu Streitgesprächen bzw. Meinungsverschiedenheiten zwischen Demonstranten und Medienvertretern“ kam. Bedrohungen seien jedoch „den eingesetzten Polizisten gegenüber nicht angezeigt“ worden. Den Mitarbeitern der Polizeipressestelle, die für Medienauskünfte und Betreuung der Pressevertreter zur Verfügung standen, „wurde dieser Sachverhalt ebenfalls nicht bekanntgegeben.“ Grundsätzlich betonte er, „dass gezielte Angriffe von Versammlungsteilnehmern gegen außenstehende Dritte, eben auch Pressevertreter, polizeilich unterbunden und nach Möglichkeit strafrechtlich verfolgt werden.“
Die Rechtsextremen zeigen sich allerdings unbeeindruckt und legten nun nach: Über das Soziale Netzwerk Facebook, in dem sie unter wechselnden Bezeichnungen als vermeintliche „Bürgerinitiativen“ gegen Asylsuchende agitieren, verbreiten sie nun eine Art Steckbrief von Journalisten mit Porträtaufnahmen und Namen der Betroffenen von diversen Medien wie dem Berliner Kurier, der taz und anderen. Auch das Autokennzeichen eines Reporters wurde im Nachgang des Aufmarsches am Montag verbreitet. Schon vorher waren unliebsame Pressevertreter zum Teil mit Foto auf diesen Seiten veröffentlicht worden. Der Berliner dju-Geschäftsführer Köhn fordert angesichts der Entwicklung den Berliner Innensenator Frank Henkel auf, den Schutz von Demonstrantinnen und Demonstranten sowie der grundgesetzlich verankerten Pressefreiheit für die morgen in Berlin angemeldeten Demonstrationen der rechten Szene konsequent sicher zu stellen.„Entweder der Innensenator kann durch seine Behörde die für eine Demokratie unverzichtbare Arbeit der Presse und deren Unversehrtheit schützen oder er muss solche Aufmärsche verbieten“, sagte Köhn. Weiter heißt es: „Der Innensenator und die Polizei dürfen nicht zulassen, dass quasi mit Hilfe von Steckbriefen zu Anschlägen auf die Pressefreiheit und ihre Vertreterinnen und Vertreter aufgerufen wird“
Dieses Vorgehen ist in der rechten Szene Berlins nicht neu. Jahrelang listeten Berliner Neonazis unter dem Label „NW-Berlin“ über 200 Namen und Fotos von linken Aktivisten, Einrichtungen, Politikern und zivilgesellschaftlich Engagierten aber auch missliebigen Journalisten in einer Feindesliste auf, um diese Einzuschüchtern und als mögliche Ziele der rechten Szene zu markieren. Mehrfach kam es in der Folge auch zu Übergriffen und Anschlägen auf die Betroffenen. Erst Ende 2012 konnte die Seite abgeschaltet werden. Die Behörden tappten monatelang im Dunkeln über die Betreiber, bislang wurde lediglich der Berliner NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke, der auch bei aktuellen Protesten gegen die Flüchtlingsunterkünfte eine führende Rolle spielt, vom Berliner Amtsgericht verurteilt. Das Gericht war überzeugt: „Sie haben an dieser Organisation mitgewirkt. […] Diese Plattform muss verwaltet werden, daran waren sie nicht unerheblich beteiligt.“ Weiter heißt es in der Urteilsbegründung: „Wir sind überzeugt, dass sie diese Internetadresse organisiert haben.“
Die in dem neuerlichen Steckbrief verwendeten Fotos stammen teilweise aus ebendieser Feindesliste des NW-Berlin. Das Label wird zwar von diesem Personenkreis mittlerweile nicht mehr verwendet, doch die Protagonisten machen weiter wie bisher. Sowohl virtuell als auch auf der Straße, wie die letzten Aufmärsche gegen Asylunterkünfte gezeigt haben. Betroffen sind davon nicht nur Journalisten, sondern alle, die nicht in das Weltbild der rechtsextremen Strippenzieher dieser rassistischen Mobilisierungen passen.
Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht auf dem Störungsmelder-Blog am 21. November 2014.