Neonazis scheitern vor Kreuzberg
26. April 2014: Neonazis wollen unter dem Motto „Kreuzberg muss befreit werden – Sicher, sauber, ordentlich. Weg mit Multikulti, Kriminalität und Verslumung“ durch Kreuzberg Marschieren und scheitern an Blockaden. Patrick Krüger, stellvertretender Landesvorsitzender von die Rechte, zeigt unverhohlen seine Sympathienfür Zschäpe und Wohlleben. © apabiz
Es waren nicht sonderlich viele Nazis, die dem Aufruf von Sebastian Schmidtke gefolgt waren und sich an der Jannowitzbrücke eingefunden hatten. Letztlich waren es knapp über 100 meist junge Neonazis, darunter gerade einmal vier Frauen! Zwischenzeitlich entstand der Eindruck, als sei pro Neonazi ein_e Pressevertreter_in vor Ort. Eines jedoch war von Beginn an offensichtlich: Ähnlich wie beim ersten gescheiterten Aufmarschversuch in Kreuzberg am 14. Mai 2011 auf dem Mehringdamm[1], bei dem Gegendemonstrant_innen und People of Colour von Nazis attackiert wurden, war auch hier scheinbar ein überregional gut vernetzter, harter Kern von teilweise aktions- und gewaltorientierten Neonazis zusammengekommen.
Zum Einen waren das die üblichen regionalen NPD-Kader um Sebastian Schmidtke, etwa Maria Fank (Berlin) und Ronny Zasowk (Brandenburg) sowie Berliner Anti-Antifa-Aktivisten wie Christian B. und David G. Auffällig war allerdings, dass einige Berliner Neonazis überraschenderweise fehlten, wie etwa die Neuköllner Neonazis um den NPDler Sebastian Thom. Gekommen war hingegen etliche Neonazis der Partei Die Rechte, so etwa der Berliner Landesverband um Uwe Dreisch und Ronny Schrader (beide ehemals Frontbann 24). Der stellvertretende Landesvorsitzende von Die Rechte, Patrick Krüger, fiel durch ein besonders drastisches T-Shirt auf. Ganz in Schwarz-Weiß-Rot gehalten zeigte es auf den Vorderseite neben der Schwarzen Sonne in Frakturschrift den Spruch „Freiheit für Wolle und Beate“ (gemeint sind die in München im NSU-Verfahren Angeklagten Ralf Wohlleben und Beate Zschäpe.) Auf der T-Shirt-Rückseite war zudem zu lesen: „NSU (Schau) Prozess stoppen!“.
Überregionales Treffen neonazistischer Straf- und Gewalttäter
Neben den regionalen Nazi-Kadern waren aus etlichen anderen Regionen Neonazis angereist, von denen einige seit Jahren bzw. Jahrzehnten für ihre Gewalttätigkeiten bekannt sind. Aus Dortmund waren dies beispielsweise Aktivisten des Landesverband Nordrhein-Westfalen von Die Rechte und dessen Umfeld. Wie in Berlin war auch der Landesverband NRW im letzten Jahr von Aktivisten verbotener Neonazi-Kameradschaften gegründet worden. Am vergangenen Samstag war unter anderem der derzeitige Landesvorsitzende von Die Rechte NRW, Dennis Giemsch, anwesend. Bis zu dessen Verbot im August 2013 galt er als der „geistige Anführer” des “Nationalen Widerstands Dortmund” (NWDO). Im Dezember 2013 erhob zudem die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage gegen Giemsch. Ihm wird vorgeworfen, verantwortlich für die Website des „Nationalen Widerstands Berlin” (NW Berlin) zu sein, die aufgrund ihrer Anti-Antifa-Listen im Fokus der Ermittlungen stand.
Begleitet wurde Giemsch am 26. April in Berlin von etlichen jungen Neonazis aus und um Dortmund, die wie er bis zum Verbot NWDO-Aktivisten waren und seitdem für Die Rechte aktiv sind. Außerdem in dieser Gruppe mit von der Partie war der seit etwa 30 Jahren bekannte Neonazi-Hooligan und ehemalige Anführer der Dortmunder Nazi-Hooligan-Gang „Borussenfront“, Siegfried Borchert (bekannt als „SS-Siggi“). Auch Borchert ist heute für Die Rechte aktiv, als Kreisvorsitzender und Spitzenkandidat für die Kommunalwahlen in Dormund.
Desweiteren waren Neonazis des Netzwerks „Weiße Wölfe Terrorcrew“ (WWTC) aus Thüringen und Norddeutschland nach Berlin gekommen. Unter ihnen der WWTC-Aktivist Sebastian R. aus Hamburg, der für seine neonazistische Gewalttätigkeit berüchtigt und deshalb bereits vorbestraft ist. Teile des WWTC waren im Sommer 2013 im Zuge einer
europaweiten Razzia betroffen. Der Vorwurf lautete „Gründung einer terroristischen Vereinigung”, die unter dem Namen „Kommando Werwolf” international agierend terroristische Anschläge und Umsturzpläne vorbereitet habe. Zwischen Personen des WWTC und Uwe Dreisch, Gesine Schrader (vorher Hennrich) und Ronny Schrader (alle ehemals Frontbann 24 und heute Die Rechte Berlin) bestehen seit Längerem enge Kontakte.
Polizeiliches Desinteresse an tätlichen Angriffen und strafbaren Äußerungen
Dass dieses Personenpotential nicht bloß eine theoretische Bedrohung bleiben würde, zeigte sich von Beginn an: Als der Lautsprecherwagen der Neonazis den Auftaktort an der Jannowitzbrücke erreichte, musste er eine Blockade von etlichen Hundert Menschen passieren. Neonazis, die mit Anmelder Schmidtke im Wagen saßen, griffen aus dem Auto heraus Gegendemonstrant_innen mit einem Feuerlöscher an. Laut RBB wurden die angreifenden Neonazis kurzzeitig festgenommen. Ein weiterer Vorfall ereignete sich unmittelbar nach Beendigung der Auftaktkundgebung. Ein Journalist wurde in einer unübersichtlichen Situation von Nazis zu Boden gestoßen und noch am Boden liegend attackiert. Die zahlreichen in unmittelbarer Nähe stehenden Polizeibeamt_innen kamen dem Angegriffenen nur zögerlich zur Hilfe und versuchten anschließend nicht, die Täter ausfindig zu machen. Auch als der Dortmunder Christoph Drewer seine Redebeitrag mit „Deutschland den Deutschen und Ausländer raus“ beendete, reagierte die Polizei erst, nachdem Vertreter von Die Linke und den Piraten aus dem Berliner Abgeordnetenhaus Anzeige wegen Volksverhetzung erstatteten und somit eine kurze Ingewahrsamnahme erwirkten. Drewer war laut der antifaschistischen Zeitung LOTTA ebenfalls einer der führenden Köpfe des NWDO und kandidiert heute für Die Rechte in Dortmund.
Rassistische Hetze allgegenwärtig
Die Beiträge aller, die im Rahmen des Aufmarschversuches redeten, waren maßgeblich geprägt von rassistischer Agitation. Drewer etwa fabulierte in seiner Rede davon, dass „nicht durch einen Krieg, sondern durch die jahrzehntelange Überfremdung” angeblich „schon lange […] der Tod am deutschen Volk geplant” sei. Als Quelle für seine auch dort nicht belegte Behauptung, es gäbe „75.000 Opfer durch Ausländergewalt seit der Wiedervereinigung”, bemühte er das verschwörungsideologische, rechte Compact-Magazin. Er schloss seinen Beitrag mit einer unverhohlenen Drohung und der bereits erwähnten volksverhetzenden Äußerung: „Wir Deutschen müssen endlich aus der Opferrolle herauskommen. Wir müssen uns endlich wieder Respekt verschaffen. Egal wie, egal wo und am besten bei der nächsten Gelegenheit. Unsere Forderung steht und das ist: Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“
Sebastian Schmidtke, Maria Fank und Ronny Zasowk bezogen sich in ihren Reden dezidiert auf die Situation in Kreuzberg und Berlin und richteten sich in erster Linie gegen Refugees und Asylsuchende. Vor allem das bereits zwei Wochen zuvor geräumte Camp am Oranienplatz war immer wieder im Fokus der Hetzreden. Schmidtke etwa behauptete, dass viele Menschen „den Namen Kreuzberg sinngemäß als Ersatzbegriff für Rauschgift, Islamismus, Verbrechertum, Anarchie, Müll, Gewalt und Tod“ benutzen würden. Er traf den Nerv der anwesenden Neonazis als er ein „sauberes, ordentlich deutsches Kreuzberg, gegen Multi-Kulti, Multi-Asi, Multi-Krimi“ forderte. Allerdings sorgte er auch für Verwirrung und Verstimmung bei einigen, als er in Bezug auf eine tödliche Auseinandersetzung unter Refugees in der Gerhard-Hauptmann-Schule am Vortag sagte:
„Wie wollten vorbeilaufen an der widerrechtlich besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule, wo erst gestern wieder ein Vorfall passiert ist, der zeigt, dass unsere Forderungen richtig sind. Gestern haben sich gegenseitig Asylanten da niedergestochen. Niedrige Gemüter würden jetzt wieder applaudieren [Applaus und zustimmende Rufe im Hintergrund]. Es ist falsch, dort zu applaudieren. Denn die Menschen können nichts dafür. Die Menschen sind Opfer dieser asozialen Multi-Kulti- und Asyl-Politik geworden. Die Menschen müssen natürlich, wie zu 99% der Fällen, zurück in ihre Heimatländer geführt werden.”
Erfolgreiche Blockaden in Kreuzberg und Mitte
Die relativ geringe Beteiligungszahl der Nazis lässt sich möglicherweise damit erklären, dass massive Gegenproteste und antifaschistische Blockadeversuche seit Bekanntgabe der Route angekündigt waren und diese andernorts schon allzu oft für Frust bei Nazi-Aufmärschen gesorgt hatten.[2] Außerdem war bereits im Vorfeld klar, dass die ganz große Provokation ausbleiben würde. Zwei Tage zuvor hatte die Polizei bekannt gegeben, dass sie die ursprünglich angemeldete Route nicht genehmigen würde. Eigentlich wollten die Nazis gerade durch den Teil von Kreuzberg marschieren, der seit Jahrzehnten als Inbegriff für „Multikulti“ und linke, antirassistische und antifaschistische Politik gilt, vorbei an Orten, die in den letzten anderthalb Jahren zu Symbolen für die Selbstermächtigungsversuche von Refugees geworden waren: Vom Moritzplatz zum bereits nicht mehr existenten Refugees-Camp am Oranienplatz, durch die Oranienstraße, an der von Refugees besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule vorbei, durch die Reichenberger Straße zum Kottbusser Tor.
Die letztlich genehmigte Route sollte in Mitte an der Jannowitzbrücke starten, über Heinrich-Heine-Straße und Moritzplatz ein Stück durch Kreuzberg und dann über Oranienstraße und Rudi-Dutschke-Straße zurück nach Mitte. Die Neonazis kamen allerding nur etwa 140 Meter weit und wurden durch eine Massenblocke an der Kreuzung Heinrich-Heine-Straße/Köpenicker Straße gestoppt. Nach quasi erzwungener Zwischenkundgebung zogen sie schließlich zurück zur Jannowitzbrücke. Da auch mögliche Alternativrouten durch Menschenmassen blockiert waren, wurde die Veranstaltung aufgelöst. Anstatt des geplanten Marsches durch Kreuzberg blieb den Nazis nur ein Spaziergang von der Länge eines Häuserblocks in Berlin-Mitte. Scheinbar war Sebastian Schmidtke der Verlauf der Stadtteilgrenzen jedoch nicht bekannt, begrüßte er doch bereits zum Auftakt an der Jannowitzbrücke die anwesenden Neonazis fälschlicherweise „auf der Kreuzberger Seite, nicht im Friedrichshain momentan”. Nicht nur Schmidtke wiederholte diesen Fehler noch einmal bei der Zwischenkundgebung. Chistoph Drewer aus Dortmund schrieb am nächsten Tag auf seinem Facebook-Profil: „Gestern haben wir unsere Berliner Kameraden bei der Demonstration in Kreuzberg unterstützt. Es war eine gelungene Tour! Immer wieder gerne!”
Doch genau daran hatten die insgesamt etwa 6000 Menschen die Nazis mit überwiegend friedlichen Blockaden gehindert. Lediglich in einer Seitenstraße kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstrant_innen und der Polizei, die einige Festnahmen zur Folge hatten.
Kaum Gegenproteste in Adlershof
Die Nazis wollten sich jedoch offenkundig mit dieser Schmach nicht zufrieden geben und Sebastian Schmidtke seine aktionsorientierte und „schlagkräftige” Unterstützung aus Dortmund, Hamburg, Thüringen, etc. so nicht nach Hause schicken. Relativ schnell nachdem die Nazis mit der S-Bahn abgefahren waren, wurde bekannt, dass Schmidtke spontan einen Aufmarsch in Adlershof angemeldet hatte. An dieser beteiligten sich noch etwa 90 Neonazis. Neben zahlreichen Polizist_innen und einigen Pressevertreter_innen waren hier jedoch nur vereinzelt wahrnehmbare Gegendemonstrant_innen vor Ort. Die Neonazis konnten so nahezu ungestört durch Adlershof marschieren und gegen die dort geplante Unterkunft für Geflüchtete hetzen. Auffällig war, dass die Nazis nicht nur auf Widerspruch stießen, sondern von einigen Anwohner_innen Zustimmung erhielten und sich einige vereinzelt gar einreihten. Erst am Endpunkt der Demo am S-Bahnhof Spindlersfeld waren einige Antifaschist_innen vor Ort, die lauthals ihren Protest artikulierten.
Wohl als Reaktion auf die Ereignisse dieses Tages zog die Berliner NPD um Schmidtke wenige Tage später die Anmeldung für einen Aufmarsch am 1. Mai in Berlin zurück. Schmidtke und andere nahmen stattdessen am NPD-Aufmarsch in Rostock teil, wo insgesamt etwa 350 Nazis aufmarschierten. Außerdem gab es Nazi-Aufmärsche am 1. Mai in folgenden Städten: Dortmund (490 Teilnehmende), Plauen (400), Kaiserslautern (100) und Duisburg (100)
Hinweis: Sowohl vom Aufmarsch-Versuch in Kreuzberg und Mitte als auch dem Spontan-Aufmarsch in Adlershof am 26. April 2014 hat das apabiz ein umfangreiches Bildmaterial sowie Tonaufnahmen der Redebeiträge. Dies kann bei Interesse eingesehen und genutzt werden.
- ↑ Das apabiz hat zu den Ereignissen am und um Nazi-Aufmarschversuch in Kreuzberg am 14. Mai 2011 ein umfangreiches Dossier erstellt, das hier zu finden ist: https://rechtsaussen.berlin/files/2011/05/apabiz-dossier-14Mai2011-Berlin.pdf
- ↑ Eine Einschätzung zur derzeitigen Demonstrationspolitik der Neonazis erschien im apabiz-Rundbrief monitor #64 und ist außerdem hier zu finden: https://rechtsaussen.berlin/2014/04/grossaufmarsch-ade-proteste-gegen-neonazi-aufmaersche-zeigen-wirkung/