Die Rolle des Verfassungsschutzes in der politischen Bildung

Seit ein paar Jahren gehen Mitarbeiterin­nen der Landesämter für Verfassungsschutz in ei­ner Reihe von Bundesländern wie selbstverständ­lich in Schulen und in der Lehrerinnenfortbildung ein und aus. Sie kommen als Referentinnen, um Kinder und Jugendliche sowie Lehrerinnen über Rechts- und Linksextremismus oder über den Islamismus politisch zu bilden.

 

In Nordrhein-Westfalen betrachtet sich das Landesamt für Verfassungsschutz als ein normaler Anbieter von politischen Bildungsangeboten. Der VS qualifiziert nach dem „Top-Down-Prinzip“ Multiplikatorinnen wie Schulrätinnen und -leiterinnen, Lehrerinnen und Referendarinnen. Aber auch Kinder und Jugendliche sind Zielgruppen seiner politischen Bildungsarbeit. Für diese erarbeitet der Verfassungsschutz in NRW pädagogische Ma­terialien in Form der bekannten Andi-Comics zum Rechts- und Linksextremismus und Islamismus. Diese Bilderheftchen, mit denen man sich bei einer jungen Leserschaft andient, erreichen Millionenauflagen und werden bundesweit vertrieben. Das Landesamt erstellt auch die dazugehörigen Handreichungen für die Lehrerinnen – gemeinsam mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Niedersachsen. In Niedersachsen wurde 2005 die Landeszentrale für politische Bildung abgeschafft. Sehr schnell entstand in der politischen Bildungslandschaft Niedersachsens ein Vakuum, das Innenminister Uwe Schünemann (CDU) mit einer innovativen Idee füllte. 2009 er­öffnete er im Landesamt für Verfassungsschutz eine eigene Abteilung zur politischen Bildung, die „nEiS“, die niedersächsische Extremismus-Informationsstelle. Schon kurz nach ihrer Eröffnung hat die „nEiS“ alle Hände voll zu tun, denn die Nachfrage vor allem aus den Schulen ist groß. Anfragen kommen häufig auch aus „Schulen ohne Rassismus – Schulen mit Courage“ des Landes. Kein Wunder, sie beschäftigen sich intensiver als andere Schulen mit Rechtsextremismus, Islamophobie und Islamismus. Und sie suchen nach Informationen und kompetenten Referentinnen, die möglichst nichts kosten sollen. Die „nEiS“ hat das zu bieten. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage vom Bündnis 90/ Die Grünen antwortet die Landesregierung Nie­dersachsen 2011: „Seit vielen Jahren wird der Verfas­sungsschutz in Schulen eingeladen, um Vorträge über Extremismus zu halten und zum Beispiel Projekttage zu begleiten. Mit Schulen werden seit 2008 auch Jugendkongresse durchgeführt.“

Politische Bildung oder Öffentlichkeitsar­beit?

Was hat der Verfassungsschutz an den Schulen zu suchen? Kritikerinnen, wie der Autor dieser Zeilen, monieren, es gäbe für den Einsatz des Verfassungs­schutzes als politisch Bildender an den Schulen keine Rechtsgrundlage und dort wo es sie gibt, steht die Legitimation auf schwachen Füßen. Befürworterinnen, wie zum Beispiel die Innenminister der genannten Länder, interpretieren den Einsatz als Teil des Auftra­ges, die Öffentlichkeit über Erkenntnisse des Verfas­sungsschutzes zu informieren. Politische Bildung und Öffentlichkeitsarbeit – das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Natürlich muss es den Verfassungsschutzämtern gestattet sein, auch in den Schulen über ihre Arbeitsweise und ihre Erkennt­nisse im Extremismusbereich zu informieren. Das tut er bekanntlich bereits seit langem, vor allem in Form der Verfassungsschutzberichte, die zum Teil auch von den Landeszentralen und der Bundeszentrale für po­litische Bildung vertrieben werden und auch in vielen Schulen genutzt werden. Aber diese Art der Informa­tion bzw. Öffentlichkeitsarbeit ist von politischer Bil­dung und von pädagogischer Arbeit zu unterscheiden. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, erklärt gegenüber der Frankfurter Rundschau den Unterschied folgendermaßen: „Das grundsätzliche Problem besteht in der Herange­hensweise. Das A und O politischer Bildung ist: Sie erfordert immer Distanz zum Gegenstand und lässt das Urteil offen. Öffentlichkeitsarbeit ist naturgemäß interessensgeleitet.“ (FR, 28. Februar 2012, S.23).

Bevor wir die Frage „Was hat der Verfassungsschutz an den Schulen zu suchen?“ vertiefen, möchten wir folgendes in Erinnerung rufen: Das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde 1950 als Inlandsnachrichtendienst der Bundesrepublik ge­gründet. In der Folgezeit haben die Länder vom Bund unabhängige Landesämter für den Verfassungsschutz eingerichtet. Die Trennung von Polizei und Verfas­sungsschutz wurde gesetzlich festgeschrieben. Das sogenannte Trennungsgebot besagt, dass für Nach­richtendienste und Polizei jeweils eigene, organisa­torisch voneinander getrennte, Behörden geschaffen werden sollen, beide Einrichtungen eine unterschied­liche Aufgabenstellung haben und darüber hinaus mit unterschiedlichen Befugnissen agieren. Die Aufgaben der Verfassungsschutzämter sind in Gesetzen geregelt. Zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden heißt es im § 3 des Bundesverfas­sungsschutzgesetzes wörtlich: „Sammlung, Auswer­tung von Informationen, Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich de­mokratische Grundordnung richten.“ Von politischer Bildung ist nicht die Rede.
Der Verfassungsschutz ist aber noch aus weiteren Gründen nicht als politischer Bildner geeignet. Im Münchner Manifest, das den Titel „Demokratie braucht politische Bildung“ trägt, wurde am 26. Mai 1997 der Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung und der Landeszentralen für politische Bil­dung für das 21. Jahrhundert festgeschrieben. Forde­rungen des Münchner Manifestes lauten: „Politische Bildung im öffentlichen Auftrag arbeitet pluralistisch, überparteilich und unabhängig. Die Zentralen für politische Bildung fördern die politische Partizipation der Bürgerinnen und Bürger“. Dies alles gehört nicht zum Kerngeschäft und zu den Kernkompetenzen von Nachrichtendiensten.

Wir möchten an dieser Stelle noch einmal auf das von der Journalistin Jeannette Goddar mit Thomas Krüger geführte interview in der FR vom 28. Februar 2012 zurückkommen und eine längere Passage daraus zitieren: „Die Innenminister interpretieren den Einsatz von Re­ferenten des Verfassungsschutzes an Schulen als Teil des Auftrags, die Öffentlichkeit über Erkenntnisse zu informieren. Nun könnte man sagen: Eine Wanderausstellung zu Rechtsextremismus ist ein anschaulich aufbereiteter Verfassungsschutzbericht, ein Vortrag in der Aula ein Referat darüber. Krüger: Da wird der Begriff der Information aber sehr weit gefasst. Eine Ausstellung ist eigentlich etwas an­deres und hat einen anderen pädagogischen Auftrag. Und was Vorträge in der Schule angeht, gilt: Im sel­ben Maß, wie die Stundenzahl für politische Bildung in den Lehrplänen zurückgeht – und sie geht zurück! – beobachten wir, dass immer mehr Fachfremde ein­geladen werden. Das ist im Prinzip legitim. Die Lehrer sind relativ frei darin, einzuladen, wen sie wollen.“

Wo ist die Grenze?

„Krüger: Zentral ist, dass der Verfassungsschutz keine federführende Rolle bekommt oder sogar vom Kultus­ministerium an die Schulen geladen wird. Wie andere – die Polizei, das Archiv der Jugendkulturen, Zeitzeug­innen – darf er immer nur eine Quelle sein. Einen gu­ten Politiklehrer zeichnet aus, das Wissen, das diese Quelle mitgebracht hat, zu ergänzen, kontrovers zu diskutieren und Schüler dabei zu unterstützen, sich ein unabhängiges Urteil zu bilden. Man kann auch andere einladen. Verfassungsschützer sind nicht die einzigen Experten in Sachen Rechtsextremismus.“ So weit die Position des Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung. Der Gesetzgeber in der Bundesrepublik Deutschland hatte also aus guten und nachvollziehbaren Gründen die nachrichtendienstlichen und bildungspolitischen Aufgaben voneinander getrennt. Und es gibt bis heute gute Gründe für ein „Trennungsgebot“ zwischen Verfassungsschutzämtern und der politischen Bildung. Wie sollte es auch anders sein? In einer funktionierenden Demokratie gibt es bewährte Institutionen und Träger der politischen Bildung: Dies sind die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung, die Schulen und Universitäten, die ArbeiterInnenbildungsvereine, kirchliche und gewerkschaftliche Bildungseinrichtungen, parteinahe Stiftungen, Jugendverbände und Vereine. Problematisch wird die Verwischung der Grenzen zwischen den genannten Aufgabenbereichen aus demokratietheoretischer Sicht, wenn klassische Träger der politischen Bildung ihre Arbeit aufgrund von Mittelkürzungen nicht mehr wie gewohnt leisten können oder gar, wie in Niedersachsen, ganz einstellen müssen.

Wie weiter?

Über ihr Selbstverständnis und über die hier aufgezeigte Praxis in Ländern wie Niedersachsen, NRW, aber auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind sich die Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz noch nicht in Gänze einig. Während sich das Bundesamt für Verfassungsschutz weiterhin als Inlandsgeheimdienst sieht, möchte sich der Verfassungsschutz in Niedersachsen, zumindest galt dies bis zum Regierungswechsel 2013, nicht mehr als Geheimdienst verstanden wissen, da er, wie der Leiter der „NEIS“ Stephan Walter angibt, gezielte Presse-, Informations- und Präventionsarbeit betreibt. Auch auf einem Symposium des Innenministeriums NRW unter dem Titel „Offener Demokratieschutz in einer offenen Gesellschaft. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention als Instrumente des Verfassungsschutzes“ im April 2009 wurde deutlich, dass der Nachrichtendienst mit seinen Bildungsangeboten für MultiplikatorInnen im „pädagogisch-präventiven Bereich“ zu einer Agentur der Meinungsbildung geworden ist. Für die Verfassungsschutzleiterin in Brandenburg, Winfriede Schreiber, stellt sich auf dieser Tagung bereits nicht mehr die Frage, „ob wir diese Aufgaben haben, sondern nur die, wie wir diese Aufgabe immer wirksamer erfüllen“. Eine öffentliche und kritische Debatte zu dieser Entwicklung findet so gut wie nicht statt.

Eberhard Seidel, Soziologe und Journalist, arbeitet und veröffentlicht zu Themen wie Rechtsextremismus, Islamismus, Migration und jugendliche Subkulturen, seit 2002 ist er Geschäftsführer von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage e.V.“.

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