Aus der Frage, wie eine Gruppe von rechtsextremen Mörder/innen unerkannt in der Mitte der Gesellschaft leben konnte, werden unterschiedliche Konsequenzen gezogen. Viel zu schnell werden neue Behörden als politische Lösungen präsentiert, durch die alles sicherer werden soll. Die Untersuchungsausschüsse der Länder und des Bundestages suchen nach den Ursachen für eine einseitige und voreingenommene Ermittlungsarbeit, der Prozess gegen den NSU beschäftigt sich mit den Täter/innen und Unterstützer/ innen. Viel zu selten wird auf die Betroffenen geschaut, auf die Angehörigen der Mordopfer, auf die Überlebenden der Anschläge, auf Menschen, die alltäglich Rassismus ausgesetzt sind, die bedroht und beschimpft werden. Ihnen begegnet die weiße Mehrheitsgesellschaft voller Vorurteile und Stigmatisierungen und benennt sie als Ursache für soziale und gesellschaftliche Zustände. Rassismus ist in Deutschland sowohl auf individueller Ebene, als auch auf institutioneller Ebene fest verankert und dient der Aufrechterhaltung einer Struktur, in der Menschen benachteiligt und als „die Anderen“ wahrgenommen werden.
Medien spielen in dieser Betrachtung eine herausragend wichtige Rolle. Durch sie werden (vermeintlich neutrale) Informationen verbreitet, Meinungen transportiert und Bilder geschaffen. Rassistische Stereotype werden durch Medien weitergegeben und verfestigt, hier wird diskutiert, welche Begriffe rassistisch und diskriminierend sind. Die Berichterstattung über den NSU-Prozess erfolgt durch Medien, die damit auch ihre eigenen Erklärungen über die Motive der Mörder/innen kolportieren. Bei der Nutzung von Quellen versäumen Medien häufig auf eine Ausgewogenheit zu achten und unkritisches Abschreiben von Meldungen führt zu sehr einseitigen Darstellungen.
Vor diesem Hintergrund haben wir in den „Berliner Zuständen 2012“ das Thema „Medien und Rassismus“ zum Schwerpunkt gewählt, um folgenden Fragen nachzugehen:
Wie gehen Medien mit ihren eigenen Vorurteilen um? Wer ist in den Medien vertreten und bestimmt daher auch über die Perspektive einer Debatte? Welche Quellen werden von Medien als vertrauenswürdig erachtet? Welche medialen Darstellungen reproduzieren gesellschaftliche Ressentiments? Welche Medienmacher_innen positionieren sich gegen Rassismus und Sexismus in Deutschland? In dem Schwerpunktteil „Medien und Rassismus“ der „Berliner Zustände 2012“ greifen die Autor_innen diese Fragen auf.
Hadija Haruna stellt in ihrem Text „Genormt und verformt. Wie rassistisch sind die Medien?“ anhand vieler Beispiele dar, wie Rassismus in den Medien funktioniert und in der alltäglichen Praxis stattfindet. Die Autorin der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ (ISD) zeigt dabei auch, welche Reaktionen erfolgen, wenn die Verantwortlichen für rassistische Darstellungen kritisiert werden. In dem folgenden Schwerpunktartikel „`Droht Deutschland eine Roma-Welle?´ Zur Reproduktion rassistischer Stereotype über Rom_nja durch Politik und Medien“ zeigt Andrea Wierich von „Amaro Foro“, dass Medien immer wieder auf rassistische Stereotype zurückgreifen, um die Situation von Rumän_innen und Bulgar_innen zu beschreiben. Diese reproduzierten Bilder sind so verinnerlicht, dass sie große Wirkmächtigkeit haben und bei Rezipient_innen einfach funktionieren. Das „antifaschistische pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V.“ (apabiz) zeigt, dass das Feld der journalistischen Recherche hart umkämpft ist. In unserem dritten Schwerpunktartikel „Der Kampf um die Deutungshoheit. Unabhängige Recherche zwischen Medien und Verfassungsschutz“ beschreibt Ulli Jentsch, dass der Verfassungsschutz von Medien häufig als Quelle genutzt wird, ohne dass ein Bewußtsein darüber besteht, dass die Behörde nicht neutral ist, sondern eigene Ziele verfolgt.
Die „Schattenberichte aus den Initiativen“ beginnen mit einer Beleuchtung rassistischer Zustände in Berlin. Einen Überblick über die Situation von Gefüchteten in Berlin bietet der Text von Jonas Feldmann von der „Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrantinnen“. Es folgt der Artikel „Aufstand von ganz unten. Flüchtlinge rütteln an den deutschen Zuständen“, in dem Turgay, Aktivist von „refugeetentaction“ aus seiner Situation den Protest der Geflüchteten beschreibt. Auch im Jahr 2012 wurden wieder viele Menschen angegriffen und bedroht, weil sie als Muslime wahrgenommen wurden. „Islamfeindlichkeit als wachsendes gesellschaftliches Phänomen“ ist die Analyse des „Netzwerkes gegen Diskriminierung von Muslimen“ mit der Forderung nach systematischer Erfassung von Vorkommnissen von Antimuslimischem Rassismus. Die anschließende Fallgeschichte, die von „ReachOut“ aufgezeichnet wurde, stellt die persönliche Erfahrung einer Muslima mit antimuslimischem Rassismus in Berlin dar.
Die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.“ schreibt über die vielen offenen Fragen zu den tödlichen Schüssen auf eine Gruppe von Jugendlichen am 5. April 2012 in Neukölln. Entstanden war die Initiative, um der Frage nachzugehen, ob es sich wieder um einen rassistischen Mord handelt. Inzwischen treffen sich auch die Angehörigen und Freund_innen des Ermordeten in der Initiative, um sich auszutauschen und um zu verhindern, dass der Mord vergessen wird.
Antisemitische Angriffe sind im Jahr 2012 weiter angestiegen. Der neue Beauftragte zur Bekämpfung des Antisemitismus und für einen interreligiösen Dialog der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Rabbiner Alter, beschreibt in einem Interview seine Einschätzungen zum Antisemitismus in Berlin und welche Ziele er in seinem Amt verfolgt. Der „Verein für Demokratische Kultur e.V.“ (VDK) gibt einen berlinweiten Überblick zu rechtsextremen Parteien, Organisationen und Gruppierungen. Ihre öffentlichen Auftritte und Agitationsversuche zeugen von einer politischen Hilflosigkeit, aber sie zeigen auch das Bestreben, sich an verschiedenen berlinweiten Debatten zu beteiligen. Einen besonderen Fokus auf die Tätigkeiten der „Reichsbürger“ legt der Text vom apabiz. Die Gruppierung ist im Jahr 2012 stärker in die Öffentlichkeit gerückt. Ihre Aktivitäten, z.B. das Verschicken von antimuslimischen Drohbriefen, werden im Artikel beleuchtet.
Ein weiteres Augenmerk wird auf das rechtsextreme Netzwerk „NW-Berlin“ gelegt. In ihrem Artikel stellt die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ (MBR) klar, dass nur die Hartnäckigkeit der Zivilgesellschaft zu einem Handeln der Behörden geführt hat. Es bleibt die Frage, ob das Ende von „NW-Berlin“ nun absehbar ist. Das Beratungsprojekt „ReachOut“ stellt auch für 2012 fest, dass Rassismus der Hauptgrund ist, aus dem Menschen in Berlin angegriffen und bedroht werden, dies ist besonders häufig in Neukölln der Fall. Der Artikel „Immer wieder – immer noch: Die meisten Angriffe in Berlin sind rassistisch motiviert“ stellt einzelne Aspekte der ReachOut-Chronik heraus und belegt die Zahlen mit Beispielen. Die ReachOut-Chronik ist die Dokumentation rechter rassistischer und antisemitischer Übergriffe und ist vollständig in diesem Heft abgedruckt.
In Schöneweide ist die Zivilgesellschaft ein bedeutender Motor gegen rechtsextreme Strukturen und Aktivitäten. Das „Zentrum für Demokratie“ beschreibt die Möglichkeiten und Grenzen des Engagements gegen Rechtsextremismus und Rassismus und verweist auf viele ganz verschiedene erfolgreiche Strategien. Eine Betrachtung aus dem Beratungsprojekt „StandUp“ der Schwulenberatung beleuchtet Diskriminierungen aufgrund der sexuellen oder geschlechtlichen Identität. Die Beratungs- und Unterstützungslandschaft in Berlin hat sich ausdifferenziert, um Menschen vielfältige Hilfe anzubieten. Gruppierungen radikaler Abtreibungsgegner/innen versuchen zunehmend Aufmerksamkeit durch öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen zu erzielen.
Der Artikel des „Familienplanungszentrum BALANCE“ beschreibt, wie solche Organisationen und auch restriktive Gesetze dazu betragen, sexuelle Selbstbestimmung einzugrenzen.
Abschließend erfolgt ein Blick auf die unabhängige politische Bildungsarbeit. Eberhard Seidel von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ kritisiert den gezielten Einfuss der Verfassungsschutzbehörden auf die schulische und außerschulische Bildungsarbeit und fordert eine klare Trennung nach dem Münchner Manifest.
Die „Berliner Zustände 2012“ bieten einen vielfältigen und umfassenden Überblick über die Arbeit von Berliner Projekten und Einrichtungen und diskutieren wichtige Fragen, die angesichts eines verbreiteten Rassismus und Rechtsextremismus gestellt werden müssen.
Wir danken allen Projekten für ihr Engagement, und besonders denjenigen, die sich mit einem Beitrag an den „Berliner Zuständen 2012“ beteiligt und diesen mit Diskussionsbeiträgen bereichert haben. Insbesondere möchten wir Ute Langkafel, MAiFOTO, für die Gestaltung und die Fotostrecke danken. Wir danken auch besonders Andreas für die redaktionelle Mitarbeit im Rahmen eines Praktikums bei der MBR.