Das Ende eines Labels

In den letzten Jahren hat sich das Netzwerk „Nationaler Widerstand Berlin“ („NW-Berlin“) zum wichtigsten rechtsextremen Aktionszusam­menhang in Berlin entwickelt. Neben der NPD und einigen kleinen, oft nur temporär als Label genutzten Zusammenschlüssen war „NW-Berlin“ der einzige Zusammenhang, der kontinuierlich Aktionen und Kampagnen durchführte, über einen langen Zeitraum eine ständige Präsenz im Internet betreute und eine dauerhafte Diffamierungs- und Bedrohungskampagne gegen Antifaschist/innen, linke, grüne oder sozialde­mokratische Politiker/innen, kritische Journalist/ innen oder einfach nur engagierte Bürger/innen durchführte.

 

2012 führte das jahrelange Engagement von anti­faschistischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, von Beratungseinrichtungen wie ReachOut oder der MBR sowie von Politiker/innen auf der Bezirks- und Landesebene dazu, dass der mediale und polizeiliche Druck auf die Personen stieg, die Teil des Zusammen­hangs „Nationaler Widerstand Berlin“ sind. Das Er­gebnis ist unter anderem, dass die Seiten „nw-berlin. net“ und „chronik-berlin.com“ nicht mehr erreichbar sind. Ist der „Nationale Widerstand Berlin“ also Geschichte?

Die Anfänge des „NW-Berlin“

Die Seite „nw-berlin.net“ begann im Sommer 2005 über rechtsextreme Aktionen in Berlin zu berichten. nur wenige Monate zuvor war die Berliner „Kamerad­schaft Tor“ (KS Tor) verboten worden. im Hinblick so­wohl auf die politischen Zielsetzungen, Ästhetik und Sprache als auch auf den ausgeprägten Aktionismus schließt der „Nationale Widerstand Berlin“ nahtlos an die verbotenen Kameradschaften an. Bezeichnender­weise berichteten schon die ersten Beiträge auf der Seite über Aufmärsche, die von Sebastian Schmidtke angemeldet wurden. Bis heute wurden die meisten Aufmärsche und Kundgebungen, die „NW-Berlin“ zu­geschrieben werden, von Schmidtke angemeldet, der mittlerweile Landesvorsitzender der NPD ist. Es war ebenfalls Schmidtke, der über viele Jahre als Verant­wortlicher im Sinne des Presserechts für Publikationen des „nationalen Widerstands Berlin“ fungierte. Die Organisationsform des Zusammenhangs „NW-Berlin“ grenzt sich jedoch strategisch von klassischen Kameradschaftsentwürfen ab. Als Reaktion auf die Verbote der Kameradschaften „KS Tor“ und der „Ber­liner Alternative Südost“ wählten die Rechtsextremen ein Label, das ihnen identitätsstiftende Verwendung und Wiedererkennung bei Aktionen und Kampagnen erlaubte und dabei gleichzeitig weniger angreifbar, weil unbestimmter schien.
Nationalsozialismus, Rassismus, Gewalt

Thematisch decken die Aktionen und Publikationen des „NW-Berlin“ nahezu die gesamte Bandbreite rechtsextremer Ideologie ab: rassistische Hetze bei­spielsweise im Rahmen der sogenannten „Ausländer-Raus-Kampagne“ (2011), Verherrlichung des Natio­nalsozialismus im Rahmen von Veranstaltungen mit ehemaligen Wehrmachtssoldaten oder von Aktionen zum Todestag von Rudolf Heß. Ebenfalls wichtige Rollen spielen Antikommunismus, in Form gezielter Diffamierung und Bedrohung von Antifaschist/innen, und Berichten über Angriffe auf linke und alternative Läden oder völkische Ideologie, in Gestalt von Schu­lungen oder von Artikeln, in denen etwa Euthanasie propagiert wird. Natürlich sind diese Themen kaum getrennt vonein­ander zu behandeln. Über die Jahre bildete sich ein geschlossenes rechtsextremes Ideologie-Gebäude heraus, das für die Praxis des „NW-Berlin“ prägend ist und das sich in allen Aktionsformen niederschlägt.

Schulungen, Aufmärsche, Angriffe

In den letzten Jahren koordinierte das Aktionsnetz­werk mehrere Kampagnen, darunter die zum 1. Mai 2010 oder die „Rudolf-Heß-Gedenkwoche“ im August 2012, wobei festzustellen ist, dass sich diese Kampagnen teilweise deutlich in Umfang und strategischer Ausrichtung unterscheiden. Während die „Gedenkwoche“ lediglich aus einigen Plakatier-Touren bestand, umfasste die Mobilisierungskampagne zum 1. Mai 2010 bundesweite Treffen sowie Veranstaltun­gen, Infostände, Aktionen und Schulungen in Berlin über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Die Schulungen hatten einerseits die Vermittlung na­tionalsozialistischer Ideologie zum Ziel, andererseits wurden Taktiken der körperlichen Auseinanderset­zung eingeübt und Informationen über politische Geg­ner/innen (Namen, Adressen und Fotos) vorgestellt . Die Kampagne mit dem Titel „Ausländer raus“ bein­haltete zudem gezielte Bedrohungen von Gewerbe­treibenden mit Migrationshintergrund in Form von Sprühereien und Schmierereien in Lichtenberg. Für beide Kampagnen wurden Standanmeldungen, In­fotische und Werbemittel der NPD genutzt. Zudem beteiligte sich „NW-Berlin“ an bundesweiten Mobilisierungen zu rechtsextremen Aufmärschen oder dem „Tag der deutschen Zukunft“.

Auch jenseits von Kampagnen führte das Netzwerk „NW-Berlin“ regelmäßig Versammlungen durch. Am 17. Juni 2012 hielt beispielsweise die NPD eine von Sebastian Schmidtke angemeldete Kundgebung am Strausberger Platz ab, die „NW-Berlin“ zugerechnet werden kann. Diese Versammlung wurde auf „nw-berlin.net“ beworben und dokumentiert. im Vorfeld wurden in der Umgebung des Kundgebungsortes auch NW-Flyer verteilt, die für die Demonstration mo­bilisierten. In diesem Zusammenhang wurde gezielt das Wohnhaus eines engagierten Gewerkschafters ausgewählt, das mehrfach Ziel von rechtsextremen Sprühereien gewesen war. Auf der Seite „nw-berlin. net“ wurde dieser Gewerkschafter mit Namen ge­nannt und bedroht, auf dem rechtsextremen Flyer stand zudem seine Privatadresse und auf der Home­page wurde er als „Linkskrimineller Wortführer“ be­zeichnet. Im Artikel wurde damit gedroht, dass „er und seine Familie sich sicher sein können, dass er nirgends ungestört Wohnen kann“. Die Versamm­lungsbehörde sah trotzdem keinen Anlass, den Kund­gebungsort in direkter Nachbarschaft zu untersagen. Der Vorfall steht exemplarisch für einen Schwerpunkt in der Praxis von „NW-Berlin“: Das öffentliche Anle­gen von Feindeslisten im Netz sowie die Bedrohung und Vorbereitung von Angriffen gegen missliebige Personen.

Über mehrere Jahre wurden auf den Seiten von „NW-Berlin“ Personen mit Namen, Fotos und teilweise Adressen geführt, zudem waren unter der Überschrift „Linke Läden“ Adressen und teilweise Bilder verschie­dener linker und alternativer Einrichtungen zu finden. Nicht wenige dieser Einrichtungen sind daraufhin Ziel von rechtsextremen Brandanschlägen und anderen Angriffen geworden. Prominentestes Beispiel ist die Kinder- und Jugendeinrichtung „Anton-Schmaus-Haus“. Das Haus wurde mehrfach auf „nw-berlin.net“ genannt. Nachdem über einen internen Verteiler von „NW-Berlin“ mit einem Verweis auf die Liste „Linke Läden“ der Aufruf verbreitet worden war, „den Terror der Roten“ zu brechen, ist das Haus erstmals Ziel eines Brandanschlages geworden, ein halbes Jahr später folgte ein weiterer. Im Oktober 2012 wurde der Zaun des Anton-Schmaus-Hauses großflächig mit Hakenkreuzen und Runen angesprüht, außerdem mit dem Schriftzug: „Ihr interessiert uns brennend“. Ebenfalls deutlich wird die Verbindung von strafbarer „Recherche“ und der Veröffentlichung im Internet am Beispiel eines alternativen Lokals in Neukölln. Dort brachen Unbekannte den Briefkasten auf, entwendeten Post, die die Namen und Adressen der Angestellten enthielt und hinterließen einen Aufkleber der NPD am Eingang. Wenige Wochen später wurden die Namen bei „nw-berlin.net“ veröffentlicht. Neben Schulungen und Veranstaltungen organisiert der „Nationale Widerstand Berlin“ regelmäßige soziale Ereignisse wie ein jährlich stattfindendes Fußballturnier oder die Feier zu Ehren von Adolf Hitlers Geburtstag im April 2012 in einem Ladenlokal in der Lichtenberger Weitlingstraße. Angemietet wurde dieses Lokal über einen Tarnverein, dem ausschließlich einschlägig bekannte Rechtsextreme angehören, unter ihnen zwei Mitglieder des Landesvorstandes der NPD.

Kaum Interesse der Sicherheitsbehörden

Am Beispiel des „NW-Berlin“ lässt sich nicht nur die Radikalisierung der rechtsextremen Szene in Berlin aufzeigen, sondern auch, dass staatliche und nicht- staatliche Stellen ganz unterschiedlich damit umgehen. So lässt sich am polizeilichen Umgang in Berlin mit den Straf- und Gewalttaten des „Nationalen Widerstands“ deutlich machen, in welch hohem Maße öffentlich zugängliche Informationen und Analysen von Antifa-Gruppen und Beratungsprojekten ignoriert wurden und auch den Einschätzungen von unmittelbar Betroffenen kein Glaube geschenkt wurde. Anders lässt sich zumindest nicht erklären, warum es über viele Jahre keine Ermittlungserfolge im Fall des „Nationalen Widerstands“ gab. Die Lektüre der Seite „nw-berlin.net“ gehört seit ihrem Erscheinen 2005 zum Alltag der MBR und anderer Rechercheprojekte (und nicht erst, seitdem dort die Namen von Mitarbeiter/innen der MBR – zusammen mit vielen anderen Engagierten – veröffentlicht werden). Nachdem die Liste der Einrichtungen im Mai 2011 deutlich erweitert wurde und weitere Angriffe gegen diese Objekte zu befürchten standen, begann die MBR die auf der Liste genannten Einrichtungen und Personen über ihre Nennung zu informieren und sie über das gewaltbereite Netzwerk aufzuklären. Die Warnungen waren nur allzu berechtigt: In der Nacht vom 26. auf den 27. Juni 2011 verübten Rechtsextreme fünf Brandanschläge in Berlin, darunter auch auf das Anton Schmaus Haus.

Ignorieren, Abwiegeln, Aussitzen

Die Strafverfolgungsbehörden nahmen aus Sicht der Betroffenen solche Vorstufen des Terrors durch einen ebenso überschaubaren wie extrem gewaltbereiten rechtsextremen Aktivist/innenkreis auch nach diesem Brandanschlag nicht ernst. Anders konnten sie es sich nicht erklären, dass die seit dem Jahr 2007 von Engagierten gestellten Anzeigen, unter anderem wegen des Missbrauchs von Portrait-Aufnahmen auf „nw-berlin.net“, über Jahre hinweg regelmäßig von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurden. Ähnlich wurde mit Anzeigen verfahren, die seit 2009 regelmäßig gegen Unbekannt gestellt worden waren, zunächst wegen des Missbrauchs personenbezogener Daten auf „nw-berlin.net“, dann wegen der daraufhin folgenden Schmierereien wie „9mm für ….“, „Tod für …“ an Wohnhäusern und Arbeitsplätzen von Gewerkschafter/innen, Anwält/innen und Antifaschist/ innen. Wenn die Betroffenen überhaupt je wieder etwas von ihrem Fall hörten, so war es die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft. In den Augen der Betroffenen waren es aber bereits die mangelhaften Ermittlungen, die gar nicht erst zur Feststellung der Täter führen konnten. So wurden lange Zeit Sprühereien wie „Rotfront verrecke“, „9mm für …“ und „C4 for Reds“, verbotene Keltenkreuze, Hitler-Smilies und „NW-Berlin“ Schriftzüge nicht einer sich zunehmend radikalisierenden sogenannten Anti-Antifa- Arbeit mit gezielter Bedrohung und Einschüchterung Engagierter zugeordnet. Offenbar wurden all diese Fälle nicht einmal mit der besagten Internetseite in Verbindung gebracht; meist wurde der Fall nur als Sachbeschädigung aufgenommen und verfolgt.

Wie bereits erwähnt, existierte die Auflistung „Linker Läden“ seit März 2009 auf „NW-Berlin“. Die Liste mit mehreren Dutzend Adressen wird recht eindeutig eingeleitet: „Wie sagt man doch so schön, es gibt kein ruhiges Hinterland. (…) Wir hoffen, diese Informationen sind für Euch im praktischen Sinne effektiv. Es ist ein notwendiges Gut, seine Nachbarn zu kennen und sich ihnen vorzustellen (…).“ Seitdem war für jedermann einsehbar – auch für die Berliner Strafverfolgungsbehörden – dass der auf Anti-Antifa spezialisierte Kreis um „NW-Berlin“ umfangreiches Material über seine politischen Gegner/innen und deren Einrichtungen sammelt. Zudem musste den direkt Betroffenen, aber auch allen anderen in Berlin Engagierten oder Exponierten klar sein, dass die im Internet veröffentlichten Informationen nur einen Teil der gesammelten Informationen darstellen und dass es beim bloßen Ausspionieren und Sammeln wohl nicht bleiben wird. Weitgehend ungehindert von staatlicher Verfolgung konnte das „NW-Berlin“-Netzwerk über Jahre hinweg nicht nur Informationen über seine politischen Gegner/innen auskundschaften, sammeln und verbreiten, diese wurden daraufhin auch regelmäßig Ziel von Anschlägen. Mehr noch, da auch weiterhin Ermittlungserfolge ausblieben, wurden die Angriffe quantitativ ausgeweitet und qualitativ gefährlicher. Zudem gingen die Täter/innen dazu über, gezielt Feuer zu legen. Während die Rechtsextremen, von der Passivität der Ermittlungsorgane offenbar ermutigt, zunehmend selbstbewusster wurden, blieben die Bedrohten und Betroffenen auf sich allein gestellt. Menschen, die sich namentlich oder gar mit Foto auf der Seite veröffentlicht fanden, mussten einerseits ständig mit Anschlägen durch den „NW-Berlin“ rechnen, andererseits mussten sie den Eindruck gewinnen, dass staatliche Stellen und insbesondere die Polizei sich weder ausreichend für ihre Situation interessieren , noch ausreichenden Schutz garantieren können.

Während gegen vermeintlich linke Autobrandstifter/ innen Nacht für Nacht auswärtige Hundertschaften samt Hubschrauber eingesetzt wurden, wies die Ermittlungsarbeit gegen Rechtsextremismus, wo sie überhaupt stattfand, erstaunliche handwerkliche Mängel auf, von den ausbleibenden Ermittlungserfolgen ganz abgesehen. Das alles ist auch darum erstaunlich, weil die gewalttätige rechtsextreme Szene in Berlin überschaubar ist und es regelmäßig Hinweise auf die Urheber/innen der Anti-Antifa-Listen gab. Die (Brand-)Anschläge waren sogar insofern vorhersehbar, als die Rechtsextremen die im Internet veröffentlichte Auflistung „Linker Läden“ regelrecht „abarbeiteten“ und dafür symbolträchtige Jahrestage zum Anlass nahmen wie etwa Todestage von Nationalsozialist/innen oder die Bombardierung Dresdens.

Ernsthafte Ermittlungen erst seit 2011

Als der Druck der Öffentlichkeit auf die Strafverfolgungsbehörden Ende 2011 wegen der rassistischen Morde des NSU zu wachsen begann war zum ersten Mal ein O-Ton vom neuen Berliner Innensenator Henkel im Berliner Kurier zu lesen. Polizist/innen würden mit Hochdruck daran arbeiten, die Urheber/innen der „neuen“ Hassliste dingfest zu machen. Henkel versprach, unter anderem im Verfassungsschutz-Ausschuss am 18.01.2012 (unter Anwesenheit von rechtsextremen Zuschauern), „sämtliche Mittel auszuschöpfen, die dem Rechtsstaat zur Verfügung stehen.“ Diese Ankündigung des Innensenats erfolgte ganze zwei Jahre nach den Anzeigen, die Betroffene mit zum Teil ausführlichem Bild- und Beweismaterial zu den mutmaßlichen Urheber/innen gestellt hatten; sie erfolgte, nachdem antifaschistische Gruppen seit vielen Jahren auf die Gefahr von „NW-Berlin“ hinge­wiesen hatten und nachdem die MBR die Systematik der Angriffe intern dokumentiert und Einrichtungen auf ihre mögliche Gefährdung hingewiesen hatte. Das LKA verschickte standardisierte Briefe an einige in der Feindesliste genannte Personen – versehen mit der geradezu grotesken Fehleinschätzung, dass „sich allein durch die Thematisierung ihrer Person auf der fraglichen Liste keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung ergebe“. Wohlgemerkt, diese Einschätzung traf das LKA, nachdem bereits eine Reihe von Personen und Objekten der Liste bedroht und angegriffen worden waren, einige sogar bereits mehrfach. Passend zu den standardisierten Briefen wurden Anfragen regelmäßig mit der Antwort be­schieden, dass der Server in den USA stünde und „ein auf Bekanntgabe des Betreibers gerichtetes Rechts­hilfeersuchen an die Justizbehörden der USA nicht erfolgsversprechend war“.

Zivilgesellschaftliche und antifaschistische Projekte sahen sich daher gezwungen, durch Informationsver­anstaltungen, Interviews und Ähnliches einerseits auf die Situation von Engagierten in Berlin und anderer­seits auf die Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden Aufmerksam zu machen. Gemeinsam mit Vertreter/ innen der Linken, der Grünen und der SPD, fanden themenspezifische Anhörungen in den Ausschüssen des Berliner Abgeordnetenhauses statt. Es wurde of­fensichtlich, dass die Strukturen der Zivilgesellschaft zwar über Jahre hinweg wertvolle Informationen gesammelt und in Form von Dossiers und Artikeln zur Verfügung gestellt hatten, aber offenbar nicht ernst genommen worden waren. Verfügten also zivilgesellschaftliche Organisationen und kritische Journalist/innen über mehr Informatio­nen als die Strafverfolgungsbehörden? Oder hatte auch diese die nötigen Informationen, wurden aber gleichwohl nicht aktiv? Fragen, denen sich fortan sowohl die Berliner Polizei als auch die Staatsan­waltschaft ausgesetzt sahen. Dem Druck folgten endlich Hausdurchsuchungen bei Rechtsextremen und ein Rechtshilfeersuchen an die USA vonseiten der Staatsanwaltschaft. nach weiteren Angriffen gegen Parteibüros, Wohnhäuser von Vertreter/innen demo­kratischer Parteien und eine Flüchtlingsunterbringung, wurde es ruhiger um den „NW-Berlin“. Anfang 2013 wurde von der Berliner Polizei schließ­lich verkündet, dass die Seite nicht mehr abrufbar sei. Aufgrund des Ermittlungsdrucks der Polizei und Staats­anwaltschaft? Wenn ja, dann zeigt es einerseits, wie wenig Aufwand von dieser Seite bereits zur Verunsi­cherung des Kreises um „NW-Berlin“ ausgereicht hat. Es zeigt andererseits, dass selbst eine Reihe schwerer Anschläge nicht zu diesem vergleichsweise geringen Ermittlungsdruck geführt hat. Das Vorgehen gegen „NW-Berlin“ war eher eine Reaktion auf die öffentli­che Kritik und auf den öffentlichen Druck durch Be­troffene und zivilgesellschaftliche Projekte, und auch sie wurden erst gehört, als die „Feindeslisten“ und Angriffe nicht mehr nur engagierte Antifaschist/innen und ihre Einrichtungen betrafen, sondern als auch Po­litiker/innen der etablierten Parteien betroffen waren.

„NW-Berlin“ am Ende?

Seit Dezember 2012 sind die Webseiten des „NW-Berlin“ nicht mehr erreichbar. Bis zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Publikation hat sich daran nichts geändert. Damit fällt ein zentrales Portal rechtsextremer Agita­tion und Praxis in Berlin weg. Auch das Label wird zurzeit nicht mehr für Kampagnen, Aufmärsche, Pu­blikationen und Flyer verwendet. Offenbar fürchten die Verantwortlichen mittlerweile juristisch belangt zu werden und halten sich deshalb deutlich zurück. Doch wann kann wirklich von einem Ende des „nationalen Widerstands Berlin“ gesprochen werden? Das erste Kriterium ist die dauerhafte Abwesenheit der Internetpräsenz, das zweite, dass das Label nicht mehr bei der Mobilisierung zu rechtsextremen Akti­onen und bei rechtsextremen Aktivitäten verwendet wird. Das dritte Kriterium ist, dass unter dem Label „NW-Berlin“ keine Personen mehr in die rechtsextre­me Szene eingebunden werden und es seine identi­tätsstiftende Funktion verliert. Derzeit deutet vieles daraufhin, dass diese Kriterien weitgehend erfüllt sind. Doch selbst dann ist die Gefahr, die von diesem Zusammenhang ausgeht, kei­neswegs gebannt.

Im Laufe der letzten Jahre wies die MBR immer wie­der auf eine Tendenz im Berliner Rechtsextremismus hin, die auch auf „NW-Berlin“ zutrifft: Parallel zum Niedergang rechtsextremer Politik im Bereich öffent­licher Veranstaltungen, politischer Einflussnahme und Verbreitung politischer Positionen gibt es eine starke Fokussierung auf gewalttätige, klandestine Aktionen. Statt zum Beispiel Aufmärsche zu veranstalten, die aller Voraussicht nach durch eine Überzahl von Ge­gendemonstrant/innen blockiert werden würden, ver­stärkte die rechtsextreme Szene in den letzten Jahren Diffamierungen, Sprühaktionen und Anschläge. Bei vielen solcher Aktionen gegen alternative Einrich­tungen oder Parteibüros wurde 2012 weiterhin die In­ternetadresse des „NW-Berlin“ als Signatur gesprüht. Setzt sich die Tendenz der politischen Marginalisierung einerseits und der Verlagerung auf klandestine Aktionen andererseits fort, sind schlimmere Anschlä­ge zu befürchten. Bei Hausdurchsuchungen sind in jüngster Zeit auch Schusswaffen gefunden worden und einige der aktiven Rechtsextremen fielen be­reits durch die Planung und/oder Durchführung von schweren Anschlägen mit Brandsätzen, Waffen und Sprengstoff auf. Der Fall NSU zeigt, dass terroristische Anschläge und Morde in der Folgerichtigkeit nationalsozialistischer Politik liegen und in der Szene seit Jahren diskutiert werden. So erfreulich es ist, dass der „nationale Wi­derstand Berlin“ kaum noch öffentlich wahrnehmbar ist, so sehr bleibt die Gefahr, die von den Personen hinter dem Label ausgeht, akut. Eine weitere Lehre aus den Morden des NSU ist: Fata­ler als eine Überschätzung der Gefahr, die von Rechts­extremen ausgeht, ist es, diese Gefahr gar nicht erst wahrzunehmen.

Die Mobile Beratung gegen Rechtsext­remismus Berlin (MBR) bietet allen Bera­tung und Unterstützung an, die sich in Berlin gegen Rechtsextremismus, Rassis­mus, Antisemitismus und für Demokratie engagieren. Das gilt vor allem für Men­schen, die in ihrem direktem Wohn-, Arbeits- oder sozialen Umfeld mit Rechtsext­remismus, Rassismus und Antisemitismus konfrontiert sind. Gemeinsam mit den En­gagierten vor Ort sucht die MBR nach Lö­sungen, um rechtsextremer Ideologie und deren Erscheinungsformen entgegenzu­treten. Mobile Beratungsarbeit stärkt die lokalen demokratischen Akteure und unterstützt sie bei ihrem Engagement für eine gelebte demokratische Kultur. Gelei­tet von dem Ansatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ und der Überzeugung, dass die Heraus­forderungen mit den Menschen vor Ort besprochen und gelöst werden müssen, versteht sich die MBR als Impulsgeberin, Moderatorin, Unterstützerin und Begleite­rin. Ziel ist es, dass die lokalen Akteure handlungssicher den Problemen entge­gentreten können. Die Lösungsstrategi­en der MBR sind auf Nachhaltigkeit und Langfristigkeit angelegt.

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