Diskriminierungsfreie Szenen für alle? – Ein Einblick in die Berliner LSBT*iQ-Communities

Lesben,  Schwule  und  Trans*Personen treten heute in der medialen Öffentlichkeit immer sichtbarer in Erscheinung. Dennoch ist ihr Alltag von Diskriminierungen geprägt – auch innerhalb der eigenen Szenen: Die vermeintlichen Schutzräume sind nicht frei von Sexismus, Rassismus und anderen diskriminierenden Ausgrenzungen.

 

Trotz nach wie vor vorhandener rechtlicher, steuerlicher und anderer staatlicher Diskriminierungen lässt sich auf institutioneller und gesellschaftlicher Ebene von Erfolgen der Emanzipationsbewegungen – vor allem für Lesben und Schwule – sprechen. Demgegenüber stehen nach wie vor Gewalt und Diskriminierungen, die Lesben, Schwule und Trans*Menschen in Deutschland alltäglich erfahren, nicht nur physisch, sondern auch psychisch – über Sprache, Ausgrenzungen, Zuschreibungen, in der Schule, im Gesundheitssystem, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt.

Nach wie vor sind politische Kämpfe gegen die andauernde Diskriminierung und fehlende Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen und Trans*Menschen also unabdingbar. Gleichzeitig re-/ produzieren diese politischen Kämpfe jedoch immer auch Ausschlüsse. Durch das Sprechen im Namen einer Gruppe, das homogene Identitäten konstruiert, werden Lebensrealitäten vieler LSBT*IQ[1] ausgeblendet. Die Ignoranz gegenüber komplexen Identitäten, gegenüber Diskriminierungen und Gewalt, die über die politischen Themen sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität hinausgehen, bestimmt für mehrfachzugehörige LSBT*IQ – wie z.B. lesbische, schwule und Trans*-Menschen mit Rassismuserfahrungen oder LSBT*IQ, die aufgrund einer Behinderung diskriminiert werden, – den Alltag auch innerhalb der lesbisch-schwulen-queeren Szenen. Diskriminierungserfahrungen setzen sich so für mehrfachzugehörige LSBT*IQ auch im vermeintlichen Schutzraum fort.

Beispiele dafür sind rassistisch motivierte Einlasskontrollen in Szene-Locations, diskriminierende Sprüche in sozialen Netzwerken im Internet und Unterstellungen wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen Herkunft (»Coming-Out besonders schwer«, »Familie bzw. Kultur/Religion besonders homophob« etc.). Auch die Personalpolitik in Vereinen und Projekten, die Ausrichtung des Informationsmaterials auf nicht behinderte, weiß-deutsch-christlich sozialisierte Klient_innen, fehlende Kenntnisse in Beratungsstellen (zu Mehrfachzugehörigkeit, Zuwanderungsrecht, Asyl/Flucht etc.), nicht barrierefreie Zugänge oder Ausschlüsse durch Sprache re-/produ-zieren intersektionale Diskriminierung – also das Ineinandergreifen und Sichverstärken oder -bedingen verschiedener Diskriminierungsformen.

Lokale Besonderheiten in den Kiezen

Um diese Ausblendungen und Ausgrenzungen sichtbar zu machen und ihnen konkrete Handlungsstrategien entgegenzusetzen, haben wir im Sommer 2010 das Projekt Miteinander – Füreinander. Diskriminierungsfreie Szenen für alle! gestartet. Finanziert wird es von der Landesantidiskriminierungsstelle im Rahmen der Initiative Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt!.

Da es in Berlin, anders als in anderen Städten, eine Vielfalt an LSBT*IQ-Szenen gibt, die sich, neben zahlreichen Gemeinsamkeiten und Überschneidungen, geographisch und alltagskulturell voneinander abgrenzen lassen und unterschiedliche Ausgangssituationen und Problemlagen vorweisen, verfolgen wir hierbei einen lokalen Ansatz.

In Prenzlauer Berg, Kreuzberg/Nordneukölln und Schöneberg, wo es jeweils sehr ausgeprägte Szenen gibt, haben sich dazu drei Netzwerke aus Einzelpersonen, Organisationen, Gewerbetreibenden und Aktivist_innengruppen gebildet, in denen wir gemeinsam lokalspezifische Strategien erarbeiten, um gegen Diskriminierungen und Ausgrenzungen innerhalb der jeweiligen Szene vorzugehen. Schwerpunktthemen, die sich aus den lokalen Problemlagen ergaben, waren bisher Rassismus, Sexismus, Transphobie und Behindertenfeindlichkeit.

Bierdeckel gegen Transphobie

Ausgangslage in Prenzlauer Berg ist eine eher bildungsprivilegierte, mittelschichtsorientierte Szene, die u.a. auch gekennzeichnet ist durch das Fehlen von Queers of Color – sowohl an Ausgeh-Orten als auch in Organisationen und Einrichtungen –, Alltagsrassismen und eine fehlende Sensibilisierung zu Trans*Themen. Für die im Netzwerk vertretenen Organisationen und Beratungsstellen gab es daher zunächst Qualifizierungen zu den Themen Antidiskriminierung  und  Allgemeines  Gleichbehandlungsgesetz, Alltagsrassismus und Transphobie. Im Sonntags-Club fand zudem eine öffentliche Diskussions- und Vernetzungsveranstaltung zu diesen Themen statt. Im Laufe der Zeit ist daraus die Broschüre Was tun gegen Diskriminierungen! entstanden, die aus verschiedenen Perspektiven Tipps zum Umgang mit Gewalt und Diskriminierungen gibt – sowohl aus Sicht von Betroffenen, als auch aus Sicht von Unterstützenden. Gemeinsam wurde auch ein Leitfaden für diskriminierungsfreiere Einrichtungen entwickelt, der helfen soll, die eigene Einrichtung, Organisation, Location oder Veranstaltung in Bezug auf mögliche Ausschlüsse zu reflektieren und bestimmte Standards zu entwickeln.

Da es sich als schwierig herausstellte, auch Betreiber_innen von kommerziellen Locations mit ins Boot zu holen, hat das Netzwerk Bierdeckel zum Thema Transphobie entwickelt, die an verschiedenen Szene-Orten verteilt wurden. Trotz positiver Rückmeldungen ist es uns bis heute jedoch nicht gelungen, Wirt_innen für das Netzwerk zu gewinnen. Der Wunsch nach einer besseren lokalen Vernetzung wurde zwar von vielen geäußert, aber eher in Bezug auf einen besseren Austausch über Schwierigkeiten und Probleme, die das Geschäft betreffen. Für das Thema Diskriminierungen gibt es bisher kaum ein Problembewusstsein, was u.a. auch daran liegt, dass Menschen, die den Prenzlauer Berg als einen für sie nicht sicheren Ausgeh-Ort erleben, eher auf andere Stadtbezirke ausweichen. Das hat zur Folge, dass weder Wirt_innen noch Besucher_innen in Prenzlauer Berg gezwungen werden, sich mit dem Thema Diskriminierung und mit eigenen Privilegien auseinanderzusetzen.

Von der Tradition zur Exklusion

Eine ähnliche Problemlage, wenn auch noch etwas extremer, haben wir in Schöneberg vorgefunden. Die dort ansässige Szene, die auf eine traditionsreiche Geschichte zurückblicken kann, ist heute vor allem eine kommerzielle weiße deutsche Schwulen-szene mit einem eher höheren Altersdurchschnitt, deren Wurzeln meist in der westdeutschen Schwulenbewegung und im Bildungsbürgertum liegen. Es gibt – anders als in der Vergangenheit – kaum noch Frauen/Lesben/Trans*-Räume. Lediglich die Lesbenberatung und die Begine sind als Schöneberger Urgesteine noch vor Ort. Auch LSBT*IQ Migrant_in-nen, Schwarze LSBT*IQ und LSBT*IQ of Color sind hier kaum sichtbar.

Von den Netzwerkpartner_innen beschriebene Probleme sind dementsprechend v.a. rassistische Türpolitiken. Der etablierte Schöneberger Szeneclub, der vor ein paar Jahren mit einem pauschalen Einlassverbot für Menschen (vermeintlich) asiatischer Herkunft Schlagzeilen machte, ist kein Einzelfall. Immer wieder werden Menschen in Schöneberger Clubs aufgrund ihrer tatsächlichen oder angenommenen Herkunft abgewiesen. Rassistische Zuschreibungen und Exotisierungen sind in der Schöneberger Schwulenszene alltäglich. Selbst auf dem Lesbisch-schwulen Stadtfest ließen sich in den vergangenen Jahren immer wieder Kleidung und Symbole sehen, die rechtsextremistischen Gruppierungen zugeordnet werden. Einige Menschen sprechen in Bezug auf das Schöneberger Schwulenmilieu bereits von No-Go-Areas für LSBT*IQ Migrant_innen, Schwarze LSBT*IQ und LSBT*IQ of Color.

Auch Sexismus und Transphobie sind allgegenwärtig. So wurden auf einer Aktion zum Tag gegen Rassismus im März 2011, bei der wir rund um den Nollendorfplatz Bierdeckel und Flyer gegen Rassismus verteilten, Aktivist_innen in einer Schwulenkneipe sexistisch beschimpft.

Bedingt durch dieses eher schwierige Klima ist es uns bis heute nicht gelungen, die Schöneberger Betreiber_innen von Szene-Locations für die Arbeit des Netzwerkes zu gewinnen. Das liegt zum einen am fehlenden Bewusstsein für vorhandene Diskrimi-nierungen und Ausschlüsse und zum anderen an einer Verweigerung, sich mit den Themen auseinanderzusetzen. Die Szene funktioniert für die Leute, die in ihr unterwegs sind, das Thema Diskriminierungen kann getrost als lästig empfunden werden. Die Tatsache, dass dies auch über Ausschlüsse und Ausgrenzungen erreicht wird, macht Schöneberg für mehrfachzugehörige LSBT*IQ zu einem nicht sicheren Raum.

So fand der bisherige Austausch in Schöneberg v.a. auf Ebene der ansässigen Organisationen und Beratungsstellen statt. Neben Qualifizierungen zu Transphobie, Sexarbeit und Barrierefreiheit gab es verschiedene öffentliche Veranstaltungen bspw. zu den Themen Öffnung von Frauenräumen für Trans*Personen, LSBT*IQ mit der Diagnose ›psychische Erkrankung‹ oder zum Thema Gentrifizierung und Frauen/Lesben/Trans*-Räume in Schöneberg.

Queer in Kreuzberg

Die Szenen in Kreuzberg/Nordneukölln unterscheiden sich deutlich von denen in Prenzlauer Berg und Schöneberg. Sie sind v.a. geprägt von der großen Präsenz von LSBT*IQ Migrant_innen, Schwarzen LSBT*IQ, LSBT*IQ of Color und alternativen Lebens-weisen mit Hintergrund in der westdeutschen Lesben-, Schwulen- und/oder Frauenbewegung, ein großer Teil definiert sich als queer. In Kreuzberg/ Nordneukölln gibt es zudem die größte Varietät in den Altersgruppen und die höchste Präsenz von Lesben und Trans*-Menschen. Besonderheiten sind eine sehr ausgeprägte Zivilgesellschaft und eine hohe Identifikation mit dem Wohngebiet. Das von uns gegründete Netzwerk lebt von dem großen Engagement der Szene-Locations vor Ort – Clubs, Bars, Cafés und alternative Projekte – und vieler Einzelpersonen.

Problemlagen sind auch hier Stereotypisierungen verschiedener Bevölkerungsgruppen und damit einhergehend u.a. rassistische Türpolitiken und der fehlende Umgang mit Gewalt und Diskriminierungen an Szeneorten. So haben bspw. die Türsteher_in-nen einer Kreuzberger Location die Anweisung, »keine Südländer mehr reinzulassen« (Zitat), ein anderer Kreuzberger Club weist bei Partys regelmäßig People of Color an der Tür ab, weil davon ausgegangen wird, das diese nicht schwul/lesbisch/queer sein können. Unabhängig von individuellen Diskriminierungsfällen, die uns regelmäßig gemeldet werden, versuchen wir im Netzwerk v.a. strukturelle Veränderungen zu erarbeiten. Unser Schwerpunkt liegt daher v.a. bei der Entwicklung von Strategien zur Schaffung sichererer Räume (Safer Spaces). Dazu wurden Fortbildungen für Tür- und Barpersonal zur Prävention von Diskriminierungen, zu deeskalativem Verhalten bei Gewalt, zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und zum Umgang mit unterschiedlichen Diskriminierungen entwickelt, die inzwischen regelmäßig durchgeführt werden. Gleichzeitig ist Material ent-standen, um Gäste zu sensibilisieren, so dass diese ebenfalls eingreifen und unterstützen. Die Netzwerkpartner_innen setzen darüber hinaus in ihren Locations durch einheitliche Plakate ein öffentliches Signal für einen diskriminierungsfreieren Umgang und eine vielfältige Szene. Auch die Broschüre Frauenräume und Öffnung für Trans*Personen bietet Unterstützung in der Diskussion um Safer Space vs. diskriminierungsarme Türpolitik.

Ein besonderes Highlight der Arbeit im Jahr 2011 war die 1. Lange Nacht der diskriminierungsfreien Szenen, bei der es an drei Tagen und Nächten an unterschiedlichen Orten Workshops, Partys, Installationen, Filme und Performances gegen Diskriminierungen gab.

Immer noch kommt es regelmäßig zu diskriminierenden Vorfällen in unterschiedlichen Locations, genau wie in Schöneberg oder Prenzlauer Berg. Der Unterschied ist, dass in Kreuzberg/Nordneukölln inzwischen Strukturen geschaffen wurden, die es Betroffenen ermöglichen, gehört zu werden und Läden zwingen, sich mit bestimmten Themen ausein-anderzusetzen und einen Umgang damit zu finden. Dies funktioniert v.a. durch die Bereitschaft der lokalen Ausgeh-Orte, sich aktiv einzubringen, und durch eine ansässige Szene, die sich zum großen Teil als politisch-aktivistisch begreift. Das Netzwerk ist inzwischen eine wichtige Größe im Kiez geworden und bietet sowohl den Locations als auch deren Besucher_innen einen Raum zum konstruktiven Austausch.

Fazit

Um gegen Diskriminierungen und Gewalt vorzugehen, ist es notwendig, mehrdimensional zu denken. Das Problem der intersektionalen Diskriminierung wird durch die voneinander getrennte Betrachtung unterschiedlicher Diskriminierungsmerkmale und die damit in der Regel einhergehende Hierarchi-sierung von Zugehörigkeiten nicht ausreichend be-rücksichtigt und erzeugt Ausblendungen und Ausgrenzungen.

Nur durch die Orientierung an den Lebenswirklichkeiten und nicht an der bloßen Zuordnung zu Kategorien lassen sich ganzheitliche Konzepte gegen Diskriminierungen erarbeiten. Wichtiger Bestandteil dabei ist die Veränderung von Strukturen und die Auseinandersetzung mit Privilegien, Vorurteilen, Stereotypen, Ausgrenzungsmechanismen und Machtverhältnissen.

In unseren lokalen Netzwerken haben wir bereits eine ganze Menge geschafft und es bleibt noch viel zu tun. Wichtig ist uns vor allem, einen Raum für einen produktiven Austausch ganz unterschiedlicher Perspektiven anzubieten. Wir möchten damit Ausblendungen und Ausschlüsse sichtbar machen, einen fehlerfreundlichen Umgang mit Differenz ermöglichen und im besten Falle Handlungsstrategien erarbeiten und nachhaltige Strukturen schaffen. Damit uns dies gelingt, sind wir auf die Mitarbeit und das Engagement vieler Partner_innen angewiesen, denen wir an dieser Stelle noch einmal herzlich für die Arbeit und die Auseinandersetzungen im letzten Jahr danken möchten.

GLADT e.V. ist eine unabhängige Migrant_innen-Selbstorganisa-tion von Lesben, Schwuler, Bisexueller, queerer und Trans*Personen (LSBT*Q). Die Angebote richten sich v.a. an LSBT*IQ of Color, Schwarze LSBT*IQ und LSBT*IQ mit Migrationshintergrund. GLADT bietet psychosoziale Erstberatung u.a. zu den Themen Co­ming Out, Familie, Sucht, Gesundheit, Gewalt, Diskriminierung und engagiert sich auf unterschiedlichen Ebenen gegen Rassismus, Sexismus, Trans*- und Homophobie, sowie andere Formen von Dis­kriminierungen.

  1.  LSBT*IQ: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*Menschen, intersexuelle Menschen und queere Menschen
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