Vorwort

Rechtsextreme Gewalttaten sind in Berlin im letzten Jahr dramatisch angestiegen. Die Polizei meldet 110 Gewaltdelikte (2005: 52); ReachOut hat sogar 155 gewalttätige Übergriffe gezählt (2005: 116). Die Zahlen von ReachOut liegen naturgemäß höher, werden hier doch auch die Berichte der Betroffenen mit erfasst und nicht nur die Übergriffe, die zur Anzeige kommen. Auch wenn die Zahlen erheblich voneinander differieren, die Trendaussagen stimmen überein: Die rechten Gewalttaten sind im letzten Jahr enorm angewachsen – laut Polizeistatistik sogar über 100%.

Wie lässt sich dieser starke Zuwachs erklären? Eine der Antworten finden wir in der Analyse der Aktivitäten der NPD, die die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR) vorlegt hat. Der Landesverband der NPD hat im Wahljahr 2006 alle rechtsextremen Kräfte in Berlin zu bündeln versucht. Es wurden sowohl Wahlabsprachen mit anderen rechtsextremen Parteien getroffen als auch AktivistInnen der gewaltbereiten Kameradschaftsszene in den offensiv geführten Straßenwahlkampf eingebunden. Dabei wurde dieser Kampf oft genug auch tätlich ausgetragen. Der Wahlerfolg der NPD – sie konnte in vier Bezirksverordnetenversammlungen einziehen – steigerte die Attraktivität der Partei in Berlin, vor allem aber das Selbstbewusstsein ihrer AktivistInnen und AnhängerInnen in der gewaltbereiten rechtsextremen Szene.

Für diesen Zusammenhang zwischen politischer Mobilisierung und Anstieg von Gewalt spricht auch der Bundestrend: Hier sind rechte Straftaten zwar insgesamt im Vergleich zu 2005 „nur“ um 8% angestiegen, aber einen ähnlich extremen Anstieg wie in Berlin ist laut Bundesinnenministerium jedoch vor allem in den Ländern zu verzeichnen, in denen die NPD Wahlerfolge erzielt hat, nämlich in Sachsen (von 168 auf 208) und Mecklenburg-Vorpommern (von 62 auf 103).

Aber auch der generelle Zuwachs rechter Gewalt im gesamten Bundesgebiet weist darauf hin, dass das politische Klima in der BRD immer mehr von rechten Positionen bestimmt wird. So zeigen auch die Untersuchungen der Forschungsgruppe um Wilhelm Heitmeyer eine stetige Zunahme nationalistischer und „fremdenfeindlicher“ Einstellungen in der Bevölkerung. Diese werden von einem politischen Diskurs gestützt, der beispielsweise muslimische EinwanderInnen unter den Generalverdacht des Terrorismus stellt oder aber Flüchtlinge generell des Asylbetrugs verdächtigt. Die inzwischen minimalen Anerkennungsquoten bei Asylverfahren ebenso wie die teils unmenschliche Duldungspolitik lassen das Bild einer von allen Seiten umstellten und von Überfremdung bedrohten Nation entstehen und schüren damit Abschottungsphantasien und Bedrohungsängste. Diese bekommen dann die als „fremd“ kategorisierten Menschen tagtäglich zu spüren.

So war ein gezieltes Eingreifen der NPD rund um die Auseinandersetzung um die Errichtung der Ahmadiyya-Moschee in Berlin-Heinersdorf gar nicht mehr notwendig, da Teile der bürgerlichen Proteste schon von sich aus die Argumentationen der Rechten übernahmen. Der Moscheebau wurde dabei als Ausdruck des Agierens einer „Terrorzelle“ bezeichnet, als „Treffpunkt von Selbstmordattentätern“ und als „Akt der Landnahme“ im Sinne der „Islamisierung und Überfremdung von Pankow“. Die Feindseligkeit gegenüber Muslimen scheint hier, laut Bericht der Netzwerkstelle moskito, normaler Bestandteil in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen geworden zu sein. Die Konflikte um den Moscheebau in Pankow-Heinersdorf spiegeln diese Entwicklung.

So ist die rechte Gewalt nur die Spitze des Eisbergs einer von den Betroffenen alltäglich erfahrenen Diskriminierung und Herabwürdigung. Der Bericht des Antidiskriminierungsnetzwerks Berlin des TBB zeigt, dass die meisten Befragten solche Diskriminierungen sowohl auf Behördengängen, aber auch bei der Wohnungssuche, beim Abschluss eines Versicherungsvertrages oder dem Besuch einer Gaststätte erfahren müssen. Diese Tatsache führt nicht zuletzt dazu, dass sich nach den Untersuchungen von Heitmeyer 80% der Menschen mit Migrationshintergrund in dieser Gesellschaft als Bürger zweiter Klasse fühlen.

Diese Diskriminierungen sind also ein struktureller Bestandteil dieser Gesellschaft, was sich auch in den entsprechenden Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung widerspiegelt. Das heißt jedoch nicht, dass die Bevölkerung sich insgesamt mit diesen Positionen uneingeschränkt identifiziert. Denn die „Mitte“ unterscheidet sich vom „Rand“ dadurch, dass sie ambivalent ist. Sie hat nicht nur nationalistische Einstellungen und Überfremdungsängste, sondern fühlt sich zugleich auch den Prinzipien von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit verpflichtet. Sie weiß beispielsweise durchaus, dass die BRD Einwanderung braucht und die Internationalisierung der Gesellschaft unabdinglich ist. Es gilt also, weltoffene Einstellungen und demokratisches Engagement in der Mehrheitsbevölkerung zu stärken, denn ein wesentliches Ergebnis der Rechtsextremismusforschung ist, dass das Verhältnis zum politischen System, zur Demokratie, der entscheidende Prädiktor für rechtsextreme Einstellungen ist. Weder die ökonomische Deprivation noch die soziale sondern vor allem die politische Deprivation ist es, so das Ergebnis der neuen Untersuchung von Decker und Brähler[1], die rechte Einstellungsmuster fördert.

Mit einem Verbot der rechten Parteien und Organisationen ist es deshalb nicht getan. Im Gegenteil: Dies kann sogar kontraproduktiv sein, da es die Zivilgesellschaft von ihrer demokratischen Verantwortung entlastet und zugleich das Bild vom starken Staat nährt, der schon alles in Ordnung bringt. Tatsächlich werden in kaum einem europäischen Land so schnell Verbote gegenüber rechten Organisationen ausgesprochen wie in Deutschland. Insofern sind Verbote nur dann hilfreich, wenn sie zugleich auch mit einer Mobilisierung der demokratischen Zivilgesellschaft einhergehen.

Die große Bedeutung demokratischer Einstellungen als immunisierender Faktor gegenüber dem Rechtsextremismus erklärt zu einem Großteil auch den Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland, denn im Osten ist die Systemdistanz deutlich stärker ausgeprägt als im Westen und nimmt heute immer noch weiter zu. Dementsprechend zeichnet sich auch der Rechtsextremismus in Ostdeutschland vor allem durch seine Gewalttätigkeit aus: Im Osten werden im Vergleich zum Westteil der Stadt fünfmal so viele Gewalttaten verübt. Allerdings zeigt ein genauerer Blick auf die Bezirke, dass der enorme Zuwachs sich auf bestimmte östliche Bezirke konzentriert, nämlich auf Friedrichshain und den Prenzlauer Berg. Das hat damit zu tun, dass der organisierte Rechtsextremismus seine Aktivitäten in letzter Zeit speziell auf diese Bezirke verlagert hat. Auch spielen sich die Auseinandersetzungen zwischen rechten und linksalternativen Jugendlichen derzeit in erster Linie im Bezirk Friedrichshain ab. Die Angriffe gegenüber den linken und alternativen Jugendlichen machen – nach den rassistischen Übergriffen – den höchsten Anteil an Gewalttaten von Seiten der RechtsextremistInnen aus. Die TäterInnen kommen zu einem großen Teil aus dem Spektrum der aktionsorientierten Kameradschaftsszene, aber auch aus anderen rechts orientierten Szenen. Die Veränderungen zwischen und innerhalb der rechtsextremen Organisationen beschreibt der Artikel aus dem apabiz. Hier wird auch die Dominanz und Anziehungskraft der NPD in diesem Spektrum deutlich, deren Entwicklung weiter genau beobachtet werden muss.

Um rechte Gewalt zu bekämpfen, bedarf es nicht nur gezielter polizeilicher und juristischer Gegenmaßnahmen, sondern es müssen auch die nationalistischen und rassistischen Einstellungen in der Bevölkerung und die Diskriminierungspraxen in der Gesellschaft bekämpft werden. Allerdings hat die Bundesregierung, trotz des weiteren Anstiegs der Gewalttaten, ihre Anstrengungen diesbezüglich nicht verstärkt, sondern baut sie im Gegenteil ab, indem sie die bisher vom Bund geförderten Projekte, die sich die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft zum Ziel gesetzt haben, in die Entscheidungsbefugnis der jeweiligen Bundesländer übergibt. Sie sollen nun als Mobile Interventionsteams im Krisenfall kurzfristig und zeitlich begrenzt eingreifen. Einem solchen Konzept liegt ein Verständnis von Rechtsextremismus zugrunde, das diesen als ein umgrenztes und akut auftretendes Problem versteht. Damit verfehlt es genau den Zusammenhang zwischen der „Mitte“ und dem „Rand“ der Gesellschaft, der für die Tragfähigkeit rechtsextremen Gedankenguts und seiner gewalttätigen Ausdrucksformen so zentral ist. Die Absage an die bisherigen Projektkonzeptionen bedeutet nicht nur einen unverantwortlichen Umgang mit neu entwickelten Kompetenzen und Strukturen, sondern ist auch ein fatales Signal an die Bevölkerung.

Der Rechtsextremismus ist aus demokratischen Gesellschaften nicht wegzudenken. Er ist ein Teil von ihr, insofern sich in ihm die Widersprüche dieser Gesellschaft in zugespitzter Weise artikulieren. Wie stark er sich allerdings in einer Gesellschaft breit machen kann, ist eine Frage der politischen Kultur eines Landes. Und hier verweisen die Daten von 2006 auf eine erschreckende Entwicklung. Die Anschläge sind im Vergleich zum Vorjahr extrem angestiegen, entsprechend intensiviert werden sollten auch die Anstrengungen, um dagegen anzugehen.

Prof. Dr. Birgit Rommelspacher ist Professorin für Psychologie mit dem Schwerpunkt Interkulturalität und Geschlechterstudien an der Alice Salomon Fachhochschule und Privatdozentin.

 

 

 

  1.  Die politische Deprivation ist gekennzeichnet durch Aussagen wie: „Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut.“ Und: „Ich halte es für sinnlos, mich politisch zu engagieren“. Decker, Oliver & Brähler, Elmar (2006). Vom Rand zur Mitte Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.
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