NPD-Kader verherrlicht offen den Nationalsozialismus bei Kundgebung in Berlin-Mitte

Am Freitag, den 1. August 2014 veranstaltete die Berliner NPD unter dem Motto „100. Jahrestag deutsche Mobilmachung zum 1. Weltkrieg – Nie wieder europäische Bruderkriege“ eine Kundgebung in Berlin-Mitte in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tors. Etwa 40 Nazis aus Berlin, Brandenburg, Hamburg, Sachsen und Tschechien waren gekommen. In den Redebeiträgen relativierten und leugneten Udo Voigt, Thomas Wulff und Josef Graf die Kriegsschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg. Wulff verherrlichte ein weiteres Mal offen den Nationalsozialismus. Obwohl die Kundgebung erst einen Tag zuvor bekannt geworden war, waren mehrere Hundert Gegendemonstrant_innen gekommen und protestierten lautstark.

 
NPD-Kundgebung am 1. August am Brandenburger Tor. | © apabiz

Bereits der Aufruf zur Kundgebung gab die kaum überraschende Richtung vor. Eine Schuld Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkrieges kommt demnach gar nicht in Frage. Vielmehr sei das damalige Deutsche Reich regelrecht zum Krieg gezwungen worden, obwohl angeblich „die reichsdeutsche Regierung durch vielfältige Initiativen den Ausbruch eines allgemeinen europäischen Krieges in letzter Minute doch noch zu verhindern“ versucht hatte. Nach der Mobilmachung Frankreichs und Russlands zur Unterstützung Serbiens aber sei „dem Kaiser keine andere Wahl mehr“ geblieben, als „ebenfalls die Generalmobilmachung zu befehlen“, um Österreich-Ungarn zur Seite zu stehen. Diesen Ereignissen wollte der NPD-Landesverband Berlin „am Tage ihrer hundertsten Wiederkehr mit einer Kundgebung am Brandenburger Tor gedenken.“ Kein Wort zur bereits zuvor garantierten „bedingungslosen Unterstützung“ von Österreich-Ungarn durch das damalige Deutsche Reich und die daraufhin erfolgte Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien. Laut Aufruf sollte die Kundgebung zugleich „eine Mahnung an jene dunklen Kräfte sein, die im Osten der Ukraine einen weiteren Brandherd in Europa gelegt haben und die Rußland systematisch an die Wand zu drängen versuchen“.

Die Redner und NPD-Kader Udo Voigt (2.v.l.). Thomas Wulff (2.v.r.) und Josef Graf (r.) bei der Kundgebung am 1. August. (c) apabiz
Die Redner und NPD-Kader Udo Voigt (2.v.l.). Thomas Wulff (2.v.r.) und Josef Graf (r.) bei der Kundgebung am 1. August. | © apabiz

Wenig aber prominente und überregionale Beteiligung

Auch wenn es wie schon bei den vergangenen Kundgebungen in Berlin nicht sonderlich viele Nazis waren, die die NPD hatte mobilisieren können, war die Zusammensetzung des Personenkreises doch vergleichsweise ungewöhnlich. Als Versammlungsleiter agierte der ehemalige Berliner NPD-Vorsitzende Uwe Meenen. Wenig verwunderlich war, dass neben Josef Graf (stellvertretender Vorsitzender der NPD Berlin) auch der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt einen Redebeitrag hielt, erstmals in seiner neuen Funktion als Abgeordneter im Europa-Parlament. Einigermaßen überraschend war hingegen der Auftritt des parteiintern umstrittenen Hamburger NPD-Vorsitzenden Thomas Wulff (Spitzname „Steiner“, in Anlehnung an den SS-General Felix Steiner). Dies kann durchaus als Affront gegenüber dem NPD-Bundesvorstand unter dem Interimsvorsitzenden Udo Pastörs verstanden werden. Erst im April 2014 hatte der Bundesvorstand erfolglos ein doppeltes Parteiausschlussverfahren gegen Wulff geführt. Eines war bereits im Oktober 2013 noch unter Holger Apfel wegen fortwährende[r] Störung des Parteifriedens“ erhoben worden. Das zweite bezog sich auf Wulffs Amtsantrittsrede als NPD-Landesvorsitzender in Hamburg, in der er sich als „Nationalsozialist“ bezeichnet hatte. Wulff klagte erfolgreich und konnte sein Amt behalten. Außerdem waren zur Kundgebung am Brandenburger Tor einige der üblichen Berliner Nazis wie etwa Gesine Schrader (ehemals Hennrich), Ronny Schrader (beide Die Rechte Berlin), Danny Matschke und Dietmar Tönhardt (beide NPD Berlin-Lichtenberg), David G. sowie Maik Schneider aus Brandenburg gekommen. Auffallend war, dass nicht nur der Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke und die Aktivistin des Ring Nationaler Frauen (RNF), Maria Fank, fehlten, sondern auch etliche ihres treuen Gefolges. Stattdessen waren einige bisher unbekannte Nazis sowie die sächsische NPD- und RNF-Aktivistin Katrin Köhler und eine Gruppe von teilweise sehr jungen tschechischen Neonazis. Auch die Fahne der tschechischen Neonazi-Organisation DSSS (Jugendorganisation der Nazi-Partei DS, in etwa das Pendant zur JN) wurde gezeigt.

Die sächsische NPD-Aktivistin Katrin Köler (Mitte im weißen Oberteil) neben einem eifrigen Berliner NPDler bei der Kundgebung am 1. August. | © apabiz

Geschichtsrevisionismus und offene NS-Verherrlichung

Getreu dem Motto der Kundgebung bezogen sich alle Redebeiträge auf den 100. Jahrestag der deutschen Mobilmachung zu Beginn des Ersten Weltkriegs. In erwartbar geschichtsrevisionistischem Duktus negierten alle die deutsche Kriegsschuld und verklärten sie als eine quasi erzwungene und notwendige Reaktion. Josef Graf konnte mit seiner etwa 45minütigen Rede nur schwer die umstehenden KameradInnen bei Laune halten. Haarklein und langwierig schwadronierte er von der angeblichen historischen Umständen des Ersten Weltkriegs, der militärischen Aufrüstung Deutschlands und der Folgen des Krieges für das ‚deutsche Volk‘. Josef Graf wie auch Thomas Wulff und Udo Voigt griffen den Friedensvertrag von Versailles an, in dem nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Kriegsschuld Deutschlands und damit verbundene Reparationszahlungen festgeschrieben worden waren. Wahlweise sprachen sie in ihren Reden vom „Versailler Diktat“ (Udo Voigt) oder „Schand-Diktat“ (Thomas Wulff). Wulff behauptete in seiner Rede:

    „Heutzutage gibt es keinen ernst zu nehmenden Historiker mehr, der noch von einer Alleinschuld des deutschen Reiches am Ersten Weltkrieg zu sprechen wagt. […] Freie Historiker, Menschen die sich ihren klaren Blick wieder erarbeitet haben, die haben erkannt und sprechen es mittlerweile deutlich aus: Das Deutsche Reich ist keineswegs allein Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges.“

Im weiteren Verlauf bezog Wulff abermals sehr deutlich Position und äußerte einmal mehr seine unverhohlene Sympathie für Adolf Hitler:

    „Und somit sage ich es ganz deutlich: Adolf Hitler hatte recht, als er forderte: Weg mit dem Versailler Schanddiktat. Das war die Hauptforderung der nationalen Bewegung: Weg mit diesem Diktat der alliierten Sieger gegen das geschlagene Deutsche Reich. Und dieses Schanddiktat war die Begründung für alles, was wir seitdem erlebt haben, seit dem Ende des Ersten Weltkrieges.“

 

Thomas Wulff, Hamburger NPD-Vorsitzender, bekennender „Nationalsozialist“ und Hitler-Verehrer, bei der Kundgebung am 1. August. | © apabiz

Während seines gesamten Auftritts ließ Wulff an seiner Haltung zum Nationalsozialismus keinen Zweifel aufkommen. Gleich zu Beginn hatte er seinen Redebeitrag im Hinblick auf das hochsommerliche Wetter mit den Worten eingeleitet:

 „Ich begrüße euch an einem Tage, vor Hundert Jahren sagte man ‚Kaiserwetter‘, in der nächsten großen Periode unseres Volkes, in der letzten Periode, in der unser Volk politisch unabhängig und frei war, da sagte man ‚Führerwetter‘ in Berlin. Und so begrüße ich euch, weil mir seitdem mit Adenauer und Konsorten bis Merkel nichts Besseres untergekommen ist für unser Volk, was die politische Freiheit unseres Landes angeht, auch euch heute hier herzlich Willkommen bei bestem ‚Führerwetter‘ in Berlin.“

In seiner 20minütigen Rede glorifizierte Wulff durchweg auch weitere Facetten des Nationalsozialismus: dessen Ideologie, die NSDAP und insbesondere den ‚Deutschen Frontsoldaten‘:

    „Doch es erwachte unserem Volke auch etwas in diesem Kriege. In diesem großen ersten Kriege entstieg dem Grabenkampf der deutsche Frontsoldat. Jener Soldat, der seitdem der Mythos schlechthin für das Soldatentum in der Welt steht. Der deutsche Soldat, der gegen eine vielfache Übermacht mit heißem Herzen kämpfte. Gegen eine Übermacht, gegen die er keine Chance zu haben glaubte aber doch immer und immer wieder bestanden hatte. Ungeschlagen zog die Armee aus fremder Erde in die Heimat zurück. Dieses Frontsoldatentum brachte auch eine politische Idee aus den Gräben des Ersten Weltkrieges mit. Es war die Idee eines nationalen Sozialismus, eines Frontsozialismus von Männern getragen, die in endlosem kriegerischen Handeln heruntergebrochen waren bis auf das Niedrigste, bis auf das Einfachste, bis auf das, was den Menschen zuletzt noch bleibt: das nackte Leben, die vollkommene Entbehrung, die Selbstlosigkeit seines Nebenmannes gegenüber. Mit diesem Geiste zogen auch die Männer nach Deutschland zurück, Männer wie Rudolf Heß, Männer wie Ernst Röhm, Männer wie Hermann Göring und andere, die dann eine Partei aufbauten, die eine nationale und soziale Idee trugen und ins Volk hineintrugen. Und so entstand nach einem langen Leidensweg in der Weimarer Zeit, in der unser Volk sein Recht nicht einfordern konnte, weil die Politik es zu feige war einzufordern. So entstand dann am Ende ein moderner Sozialstaat, wie ihn bis dahin die Welt noch nicht gesehen hatte.“

Udo Voigt, ehemaliger NPD-Bundesvorsitzender und derzeitiger Abgeordneter im Europa-Parlament, bei der Kundgebung am 1. August. | © apabiz

Auch Udo Voigt wetterte in seiner darauf folgenden Rede nicht nur umfassend gegen den Friedensvertrag von Versailles. Außerdem fantasierte er von einem angeblichen 100 Jahre währenden Krieg gegen das ‚deutsche Volk‘:

    „Liebe deutsche Landsleute, dieser 1. August 2014 ist in der Tat ein historischer Tag. Denn dieser Tag bedeutet für uns Deutsche ein noch nicht zu Ende gegangener hundertjähriger Krieg gegen unser Volk. Meine Vorredner haben es dargelegt, wie es zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gekommen ist. Und liebe deutsche Landsleute, das Versailler Diktat, wo wir unterschreiben mussten, dass sich Deutschland zur Alleinkriegsschuld bekennt, ist heute fertig für die Mülltonne, weil kein Historiker in der Welt mehr von deutscher Alleinkriegsschuld am Ersten Weltkrieg spricht. Wenige Jahre danach begann ein neuer Weltkrieg, und die Sieger des Zweiten Weltkrieges, ja liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe deutsche Landsleute, die hatten daraus gelernt. Sie wollten verhindern, dass jemals noch ein Deutschland in Europa wieder erstarken kann. Ihre Politik – und ich meine die Politik der Besatzer da drüben – war es, Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu besetzen, aufzuteilen, die Patrioten zu verfolgen und diese Patriotenverfolgung hält bis zum heutigen Tage an. In den letzten fünf Jahren fanden alleine 108.000 Ermittlungsverfahren gegen deutsche Patrioten statt. Stellvertretend für alle sitzt Horst Mahler nur für seine freie Meinung 12 1/2 Jahre im Gefängnis. Und ich weiß nicht, wie man angesichts einer solchen Unfreiheit noch jubeln kann. Man hat das deutsche Volk umerzogen. Man hat Deserteure in die wichtigsten politischen Positionen gesetzt. Und Deutschland hat 1945, seit 1945 immer noch keinen Friedensvertrag. Wir haben somit eine Art Waffenstillstand. Und in dieser Zeit ist man bemüht, in Deutschland das deutsche Volk auszutauschen durch eine Multikulti-Politik nach dem Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika.“

Der Brandenburger NPDler Maik Schneider im Kreise junger Neonazis aus Tschechien. | © apabiz

Udo Voigt versuchte zudem einen aktuellen Bezug herzustellen und nahm den Ort in unmittelbarer Nähe der US-Botschaft, sowie die tagespolitischen Ereignisse in der Ukraine zum Anlass, um dem für die NPD typischen verschwörungsideologischen Antiamerikanismus Luft zu machen:

    „Und ich freue mich, jetzt mit vielen europäischen Patrioten im Europa-Parlament dort die Interessen der Völker zu vertreten, dort darauf aufmerksam machen kann, dass Europa wieder vor der Gefahr eines großen Krieges steht. Liebe Bürgerinnen und Bürger, was zur Zeit in der Ukraine abgeht, und wie es die USA schaffen, West-Europa auf Russland zu hetzten, und wie man es schafft, die Völker Europas auseinander zu dividieren. Ja, wenn es dort wirklich zum Krieg zwischen Russland und der Ukraine kommt, dann wird Europa nicht Abseits stehen. Dann wird es wieder einen Krieg befreundeter Völker in Europa geben. Und einer ist der lachende Dritte, der da drüben sitzt in der Botschaft, überm großen Teich. […] Wir sind aber der Meinung, dass sowohl die Ukraine wie Russland europäische Völker beinhalten. Und diese Staaten Ukraine und Russland müssen in ein Europa der Vaterländer, welches dann eine eigene Verteidigungspolitik betreibt, ohne die raumfremden Interessen der USA überhaupt berücksichtigen zu müssen.“

In Bezug auf die Situation in der Ukraine hatte Thomas Wulff eine ganz besondere wenn auch für Kritiker_innen keineswegs überraschende Sympathiebekundung ausgesprochen:

„Und da wünsch ich mir natürlich von so einem Aufklärer wie dem Herrn Elsässer, der sich langsam aufgemacht hat aus der Linken wegzukommen und in nationalstaatliches Denken überzugehen, […] nicht nur die richtigen Fragen zu stellen, sondern auch, dass er die richtigen Antworten dazu gibt, Herr Elsässer.“

Gegendemonstrant_innen am Rande der Kundgebung am 1. August. © apabiz

Spontane, zahlreiche und lautstarke Gegenproteste

Obwohl die NPD erst am Tag zuvor die Kundgebung bekannt gegeben hatte, war es antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Initiativen sowie Parteistrukturen von Die Linke, Die Grünen und der SPD gelungen, mehrere Hundert Menschen zu Gegenprotesten zu mobilisieren. Während der gesamten Veranstaltungsdauer gab es laute antifaschistische Sprechchöre, die es teilweise schwierig machten, die Redebeiträge trotz leistungsfähiger Soundanlage zu verstehen.

Gegenproteste gegen die NPD-Kungebung am 1. August. © apabiz
Gegenproteste gegen die NPD-Kundgebung am 1. August. | © apabiz

 

Hinweis:

Das apabiz hat von dieser Veranstaltung eine umfangreiche Foto- und Audio-Dokumentation angefertigt, die diesem Artikel als Grundlage diente. Die Materialien können bei Interesse beim apabiz eingesehen werden.

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