Ach, der Verfassungsschutz!

Der Inlandsgeheimdienst und die Antifa Der Verfassungsschutz hat sich mitschuldig gemacht. Klar ist: Es braucht ein Frühwarnsystem gegen Neonazis – aber kein geheimdienstliches, sondern eines, das aus der Gesellschaft selbst kommt.

 

Zu keiner Zeit seit 1990 gab es so vielfältige Einblicke in die Arbeitsweise und Denkweise der Verfassungsschutzbehörden wie in den letzten zwölf Monaten. Plötzlich liegt all das auf dem Tisch: die undemokratischen Einstellungen der Mitarbeiter_innen, das systemische Versagen in der Analyse der Naziszene und die andauernde Fehlbewertung der tödlichen Gefahren, die sich daraus ergeben. Und auf einmal stellt sich die Frage, ob der Verfassungsschutz (VS) abgeschafft gehört. Eine politische Forderung, die noch vor anderthalb Jahren einem politischen Selbstmord immerhin ziemlich nahe kam.

Wer sich kontinuierlich mit Nazis beschäftigt, sei es als Journalist_in, als Engagierte in Initiativen oder in einem der staatlich finanzierten Projekte, kommt früher oder später nicht um die VS-Behörden herum. Die meisten bedauern das, aber manchmal muss es eben sein. Die Papiere, die dort verfasst werden, sind oft nicht der Rede wert, manchmal banal, immer wieder ärgerlich. Antifaschistische Initiativen stehen zudem selbst im Visier des VS, werden bespitzelt, überwacht und denunziert. Und der VS drängt seit Jahren verstärkt in die politische Bildung und dient sich der Politik als billige, staatliche Demokratievermittlungsinstanz ohne öffentlichen Auftrag an.

Die erste und nahe liegende Auseinandersetzung dreht sich um die öffentliche Deutungshoheit über das Thema »Rechtsextremismus«. Hier geht es um Analysen, Zahlen, Strukturen und Entwicklungstendenzen der extremen Rechten und um die Zurückweisung des vom Amt verwendeten »Rechtsextremismus«-Begriffs. Wir selber stellen seit vielen Jahren nicht nur unser Archiv und die darin enthaltenen Materialien zur Verfügung, sondern auch unsere Expertise. Wir reden gerne mit möglichst vielen Menschen über die verschiedenen Aspekte und Entwicklungen in der Naziszene – und geben gerne unseren eigenen Senf dazu. Nach unserer Erfahrung ist für viele der Umgang mit Behördenquellen überaus pragmatisch. Es ist eine Quelle unter anderen, aber sie ist staatlich, was ihr ein gewisses Gewicht verleiht. In der kritischen Forschung mehr noch als im Journalismus gilt das Behördenurteil jedoch vergleichsweise wenig. Der verwendete Extremismusbegriff entwertet die Analysen und hat sich in der Forschung, obwohl beide von »Rechtsextremismus« reden, überwiegend diskreditiert.

VS ist praktisch

Aber alle wollen Zahlen. Zahlen sind griffig, sie verdeutlichen ein offenbar ansonsten diffuses Phänomen. Hier haben nicht-staatliche Initiativen ein echtes Problem. Sie erheben nur wenig belastbares Zahlenmaterial[1]. Seriöse Angaben beispielsweise über die Mitgliederzahl der NPD in den Bundesländern machen zu können, ist schwierig. Jahrelang haben selbst überaus staatskritische antifaschistische Initiativen die Zahlen des VS verwendet – und mal 20 oder 30 Prozent oben drauf gerechnet, so zu sagen um den durchschnittlich anzunehmenden Verharmlosungsfaktor der Behörde auszugleichen. Das mag hier banal klingen, ist aber in der Auseinandersetzung um die Deutungshoheit nicht zu vernachlässigen. Die Forschung dürfte solche Zahlen streng genommen außer als Hinweis nicht zu weiteren Analysen verwenden, denn sie kann ihre Entstehung nicht prüfen. Die Medien, zumindest die kritischen, verlangen oft nach alternativem Zahlenwerk, das aber leider nur in Ausnahmefällen vorhanden ist. So bleiben die Zahlen des VS trotz aller Mängel gesetzt, sie erlangen Faktizität, weil es an Alternativen fehlt. Die Redaktionen der großen Medien aber auch die einzelnen Journalist_innen tragen ohnehin einen großen Anteil daran, die Arbeit des VS immer wieder zu legitimieren.

Manche Chefetagen halten Artikel über das Thema »Rechtsextremismus« für überwiegend unseriös, so lange sie im Text kein Zitat der Behörden finden, und sei es auch noch so flach. Der Journalist Thomas Leif hat in einem zu wenig beachteten Artikel deutlich niedergelegt, wie der Informationshandel zwischen den Behördenquellen und den Medien im Bereich der Geheimdienste funktioniert und schreibt Klartext: »Die beiden relevanten Nachrichtenmagazine, ganz wenige führende Tageszeitungen und die ›Geheimdienst-Experten‹ der öffentlich-rechtlichen Anstalten werden privilegiert und abgeschottet ›informiert‹. Im Gegenzug wird von ihnen erwartet, dass sie die platzierten Interpretationen, Warnungen und Analysen eins zu eins übernehmen und möglichst als breaking news agenturfähig vermarkten. Was als ›exclusiv‹ verkauft wird, ist oft nicht mehr als eine bestellte Botschaft.«[2]

Selbst als »Edelfedern« gepriesene Autor_innen lieferten im NSU-Komplex Artikel ab, deren Newsgehalt aus einer einzigen, ungeprüften Nachricht von einer nicht genannten Person aus »Sicherheitskreisen« bestand: kein Konjunktiv, keine zweite Quelle, kein Hinweis auf die generelle Fragwürdigkeit der Behördenaussagen in diesem konkreten Fall. Da fällt es den Behörden wahrlich leicht, die Medien für die eigenen PR-Kampagnen einzuspannen. So zuletzt geschehen im Oktober, als das Bundesamt für Verfassungsschutz in einem Hintergrundgespräch ausgewählten Medienvertreter_innen die angebliche Gefährdung ihrer V-Leute durch die Vielzahl der Aktenweitergaben nahe brachte. Es hagelte prompt entsprechende »bestellte Artikel«.[3]

Auch der Umgang mit den zu Recht viel gescholtenen VS-Berichten ist oft problematisch. Während antifaschistische Initiativen monatelange Prozesse in Kauf nehmen, um falsche Anschuldigungen aus den VS-Berichten tilgen zu lassen, gelten ansonsten hier nieder geschriebene Wertungen als »gerichtsfest«. Es ist praktisch und einfach für die Rechtsvertretung und vor allem für die Medien: Bringe einen Auszug aus einem VS-Bericht und das Gericht ist schon beinahe überzeugt. Nun urteilen nicht alle Gerichte nach Aktenlage und stellen amtliche Schriftstücke über alle anderen Beweise, aber der Fingerzeig auf die VS-Aussage erleichtert die Beweisführung doch erheblich. Und kurze Beweisführungen gefallen den meisten Gerichten und den Anwält_innen und Mandant_innen auch. Ein wissenschaftlich begründeter »Rechts­extre­mismus«-Begriff jenseits staatlicher Vorgaben sollte zwar auch vor Gericht stand halten können, die Mühen werden jedoch meist gescheut.

Kein »alternativer Verfassungsschutz« please!

Die Arbeit der antifaschistischen Initiativen ist in den letzten Monaten oft und manchmal durch berufenen Mund gelobt worden. Unser aller ehrenamtliches und kritisches Engagement gilt zunehmend als »seriös«, kompetent und mit einem größeren Potential ausgestattet als die Verfassungsschutz-Behörden. Wir selbst wurden namentlich und öffentlich als Alternative zu einer offensichtlich überforderten VS-Behörde, der von Mecklenburg-Vorpommern genannt.[4]

So etwas wie einen »alternativen Verfassungsschutz« kann es nicht geben und wir kennen keine antifaschistische Initiative, die sich für so etwas hergeben würde. Der Ruf nach alternativer Beobachtung und Recherche ist älter als die aktuelle Geheimdienst-Krise und diese Beobachtung wird seit Jahrzehnten auch durchgeführt, eben durch Antifaschist_innen. Dies geschieht, wie dankenswerter Weise Manche in der heutigen Debatte nicht müde werden zu betonen, teilweise unter Einsatz der Gefährdung von Leib und Leben der Beteiligten. Beim Spaziergang durch einen abgelegenen Wald im herbstlichen Dauerregen von einem entgegen kommenden »Dienst«-Pärchen augenzwinkernd gegrüßt zu werden, gehört dabei noch zu den witzigen Momenten der antifaschistischen Feldforschung. Die anwesenden Dienste treten einem hier wenigstens nur bildlich gesprochen auf den Füßen herum.

Polizeilicher Staatsschutz und VS kriminalisieren auch nach dem Bekanntwerden der NSU-Blamagen beständig antifaschistische Recherche. In Berlin hat es in schöner Regelmäßigkeit Versuche gegeben, das Fotografieren von Nazi-Aufmärschen oder überhaupt die Dokumentation neonazistischer Aktivitäten zu unterbinden. Die hierzu verwendete Konstruktion lautete immer, die Dokumentation geschehe zur Vorbereitung von Straftaten. Oder sie sei an sich schon strafbar. Aus solchen Erfahrungen heraus haben wir vor Jahren begonnen, die öffentliche Dokumentation von Nazi-Aufmärschen offensiv nach außen zu vertreten. »Dokumentation ist gerechtfertigt und notwendig!«, lautete die Botschaft. Diese Arbeit hat bisher zu einer Reihe von Strafverfahren und Verurteilungen gegen gewalttätige Nazis aufgrund der Ton- und Bilddokumente geführt. Aber auch zu einem eingestellten Ermittlungsverfahren gegen das apabiz, das auf die Anzeige durch eine stadtbekannte Neonazistin beim Berliner Staatsschutz zurück ging. Absurderweise hieß es, wir hätten gegen das Jugendschutzgesetz verstoßen, weil wir eine indizierte Naziseite als Quelle (!) in einem Dokument angegeben hatten. So konterkarieren die »Extremistenjäger« eine Arbeit, die der Berliner Senat fördert.[5]

In der jetzigen Debatte über den VS wird leicht übersehen, dass manche Landesämter sich in den letzten Jahren um einen Imagewandel bemüht hatten, hin zu einem Konzept des »offenen Demokratie­schutzes«[6]. Dazu gehörte neben dem Ausbau der Bildungsarbeit der Versuch, sich als eine Art Politikagentur im öffentlichen Raum zu etablieren. Hier wird dann nicht das Gewicht der eigenen, staatlichen Kompetenz in den Vordergrund gestellt, sondern man möchte in einer soften Variante als ein Akteur unter vielen im öffentlichen Diskurs wahrgenommen werden. Da fallen in Podiumsdiskussionen gerne solche Sätze wie: »Eigentlich machen sie und wir doch die gleiche Arbeit!«, um daran irgendeine anschleimende Perspektive der Zusammenarbeit zu knüpfen. Genau auf dieser Welle schwimmt der kommissarische Leiter des Berliner VS, Bernd Palenda, und klappert derzeit fleißig die Berliner Projekte ab. In einem bemerkenswert unkritisch geführten Interview hält er an allem fest, was die Berliner Behörde bisher gemacht hat. Und gerade die so umstrittene Bildungsarbeit möchte Palenda weiter ausbauen.

Ersatzlos abschaffen – jetzt!

Die momentane Diskussion über den Sinn des Verfassungsschutzes ist erfreulich, birgt aber auch Gefahren. Denn hier verlaufen zwei Diskussionen parallel zueinander: Die Kritiker_innen wollen den Inlandsgeheimdienst abschaffen oder zumindest degradieren, um damit die demokratische Kontrolle über diesen Bereich zu verbessern. Die anderen, die »Sicherheitsarchitekten«, wollen die institutionelle Krise nutzen, um mehrere Behörden zu effektivieren, sie umzubauen und zu zentralisieren. Auch in diesem Szenario könnte der eine Dienst oder die andere Landesbehörde faktisch »abgeschafft« werden – zugunsten einer neuen effizienten »Superbehörde«. Generalbundesanwalt Harald Range hat sein Amt dafür schon mal ins Spiel gebracht. Und auch Berliner Innenpolitiker, in diesem Fall Thomas Kleineidam (SPD), rollen dem VS den roten Teppich aus: es müsse nur enger kooperiert werden, mehr Absprachen, mehr Treffen, mehr Informationen an das Parlament. Und dies scheint dann auch der politische Deal der SPD hinsichtlich der »Reform« des Verfassungsschutzes zu sein: die Behörde darf bleiben, dafür bekommt die SPD die Option, den NPD-Verbotsantrag auf den Weg zu bringen.

Bei dieser Debatte drohen wesentliche Aspekte ins Hintertreffen zu geraten, die für alle antifaschistischen Initiativen und Projekten zentral sein sollten: Wer hat mit welcher Legitimation die Deutungshoheit über die extreme Rechte? Und: wie wichtig ist der Gesellschaft ein verlässliches Frühwarnsystem über die Entwicklungen der extremen Rechten, speziell auch der gewalttätigen neonazistischen Szene? Es ist ein Witz der Geschichte, dass Deutschland seine Aufklärungsarbeit über »Rechtsextremismus“ einem Geheimdienst in die Hände gelegt hat. Es braucht zivile, nicht-staatliche Beobachtung und Aufklärung, denn der Staat, ja dessen eigene Instanz für Beobachtung und Aufklärung, der Inlandsgeheimdienst selber, hat seinen eigenen Beitrag zu der Existenz und Weiterentwicklung der neonazistischen Strukturen geleistet. Der VS hat nicht hier und da versagt, er hat sich mitschuldig gemacht. Und die Parlamente haben sich jahrelang um die Kontrolle des VS nicht ansatzweise geschert. Verglichen damit ist in diesem Land die Kontrolle von Lebensmittelprodukten besser geregelt.

Was können antifaschistische Projekte von den weiteren Debatten erwarten? Die Law-and-Order-Strategen bringen sich in den letzten Monaten wieder deutlich in Stellung und werden alles daran setzen, ihre Agenda einer reformierten und modernisierten »Superbehörde« umzusetzen. Also fordern wir das Unmögliche: die sofortige Abschaffung des Verfassungsschutzes. Den Rest müssen wir, wie gehabt, weiterhin selber machen.

Ulli Jentsch

Dieser Text ist eine leicht gekürzte und aktualisierte Fassung eines Artikels in der CILIP Nr. 101/102 (Jan./Feb. 2013)

Anmerkungen:

1 Ausnahmen sind die durch die Opferberatungsprojekte erhobenen Zahlen der Opfer rechter Gewalt sowie die journalistischen Recherchen über die Todesopfer rechter Gewalt.

2 vgl. Leif, T.: Bestellte Wahrheiten. Ganz exklusiv; online unter http://carta.info

3 vgl. Gensing, P.: Operation PR-Offensive; online unter www.publikative.org

4 Grund dafür war die Unfähigkeit des Landesamtes, die dort erscheinenden Nazi-Publikationen aufmerksam auszuwerten. Dadurch entging ihnen ein offener Gruß an den NSU aus dem Jahr 2002 in dem Editorial des Nazi-Blättchens »Der Weiße Wolf«.

5 vgl. Litschko, K.: Berliner LKA ermittelte gegen apabiz, in: taz v. 28.09.2012.

6 vgl. Grumke, T.; Pfahl-Traughber, A.: Offener Demokratieschutz in einer offenen Gesellschaft, Opladen 2010

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