Flüchtlingsproteste im Visier

Die rassistischen »Ausländer Raus!«-Kampagnen der extremen Rechten nehmen zu Nach Deutschland geflüchtete Menschen kämpfen seit Wochen so offensiv wie nie gegen die Menschen verachtende Praxis der bundesdeutschen Asylpolitik. Während von Rechtsaußen die Rassist_innen von NPD und pro Deutschland gegen »Asylbetrüger« hetzen, legen manche Innenpolitiker_innen die Lunte ans Fass, indem sie sich als rassistische Stichwortgeber  betätigen. Erschienen in monitor Nr.57, Dezember 2012.

 

Am 13. November hält die rechtspopulistische pro Deutschland-Bewegung am Brandenburger Tor eine Kundgebung ab. Hier campieren seit dem 24. Oktober rund 20 Flüchtlinge und Unterstützer_innen, um ihren Forderungen nach Änderungen in der bundesdeutschen Asylpolitik Nachdruck zu verleihen. Solcher Art selbstbewusste Kämpfe im Zentrum der Hauptstadt sind in den Augen der ein Dutzend Anhänger_innen von Manfred Rouhs und Co. eine Anmaßung ohne Gleichen.

Der Bundesgeschäftsführer der Partei und Vorsitzende des Berliner Landesverbandes, Lars Seidensticker, formuliert in seiner Rede: »Auf dem Pariser Platz campieren eben keine politisch verfolgten Menschen. Die wirklich politisch Verfolgten hätten doch gar keinen Grund dazu, außer sie würden wegen unserer Gastfreundschaft eine Dankeskundgebung abhalten.«1 Und in einer bekannten extrem rechten Manier werden die Flüchtlinge und ihre Unterstützer_innen zu Kriminellen erklärt, als »Asylbetrüger« und als »Einwanderungsindustrie« diffamiert: »Nein, diese Leute, die da drüben stehen, haben sich bereitwillig vor den Karren derer spannen lassen, die Deutschland abschaffen wollen. Dort drüben stehen Scheinasylanten, Asylbetrüger, kriminelle Ausländer als billige Helfershelfer der Einwanderungsindustrie, die von ihrem Erwerbszweig Asylbetrug offenbar sehr gut leben können. Sie haben sich vor den Karren von SPD, Grünen, Linken und Piraten spannen lassen, die in ihrem grenzenlosen Hass gegen alles Deutsche nichts unversucht lassen, diesem Land zu schaden.«

Öffentliche Hetze
Das tapfere Dutzend der pro-Bewegung, das sich mehreren hundert Protestierenden gegenüber sah, hat auch politische  Forderungen mitgebracht. Neben einer weiteren Verschärfung des Asylverfahrens fordert pro Deutschland den »Wieder-Gutmachungs-Arbeitseinsatz von Asylbetrügern«, selbstredend unter freiem Himmel, denn: »Schwere körperliche Arbeit unter freiem Himmel hat noch keinem Menschen geschadet«. Und die Flüchtlings-Hilfsorganisation PRO ASYL betreibe »unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit nichts anderes als Beihilfe zum bandenmäßigen Asylbetrug«, weshalb ihr Verbot gefordert wird.

Der Unterschied dieser Rhetorik zu jener der Konkurrenz von der NPD, die sich noch in der gleichen Woche ebenfalls am Brandenburger Tor einfindet, ist kaum erkennbar. Auch die NPD polemisiert gegen eine »organisierte  Ausländerlobby«, die »seit Jahrzehnten (…) systematisch Ausländer nach Deutschland transferiert und somit unser[en] hart erarbeiteten Sozialstaat zum kollabieren« bringe. Heißt es bei pro Deutschland, man wünsche allen »Asylbetrügern und Integrationsverweigerern« eine »gute Heimreise«, so fordert NPD-Bundesvorstandsmitglied Ronny Zasowk »alle kriminellen Ausländer umgehend abzuschieben. Selbst die, die in ihren Heimatländern höhere Strafen zu erwarten haben. Wir fordern härtere Strafen für Migranten.«

Und an die hungerstreikenden Flüchtlinge richtet er die zynischen Worte: »Fressen oder gefressen werden, liebe erst kürzlich nach Berlin gewanderte Flüchtlinge, Asylbewerber wie auch immer, hungert mal schön weiter, dann haben sich so einige Probleme bald von selbst gelöst.«2

Rechte Einigkeit
Bei der Frage, aus welchen Motiven die hierhin geflüchteten Menschen nach Deutschland kommen und wie mit ihnen umzugehen sei, herrscht eine erschreckende Einmütigkeit: Die Geflüchteten hätten allesamt keine humanitären Gründe vorzuweisen, sie wollten allein den deutschen Sozialstaat plündern und suchten den finanziellen Vorteil auf Kosten der ohnehin verarmten einheimischen Bevölkerung. Dieser Konsens wird parteiübergreifend in sämtlichen Spektren der deutschen Rechten verbal artikuliert: von den neonazistischen Kameradschaften und der NPD über die pro-Bewegung bis hin zu rechten Populist_innen in CDU und CSU. Und auch »Integrationskritiker« wie Heinz Buschkowsky und Thilo Sarrazin aus der SPD malen dieses Bild.

Auf die Straße getragen wird diese Stimmung wenig überraschend zu aller erst und bereits seit längerem von der NPD  und den Kameradschaften. Die NPD und die Autonomen Nationalisten hatten in Berlin bereits im Wahljahr 2011 zwei aufeinander abgestimmte »Ausländer Raus!«-Kampagnen durchgeführt. Den Marsch der Flüchtlinge nach Berlin versuchten NPD-Gliederungen an mehreren Orten zu stören. In Erfurt kam es dabei zu handgreiflichen  Auseinandersetzungen, in anderen Städten blieb es bei kläglichen Kundgebungen.3 Fast zeitgleich startete der sächsische Landesverband eine mehrtägige Veranstaltungstour, bei der NPD-Funktionäre an vier Orten vor oder in der Nähe von Flüchtlingsheimen und Moscheegemeinden gegen »Asylmissbrauch, Überfremdung und Islamisierung« hetzten.

Mit Fackeln zum »Asylantenheim«
Einen unrühmlichen Höhepunkt stellte der zunächst als »Fackelmarsch gegen Asylmissbrauch« am historisch  belasteten 9. November in Wolgast (Mecklenburg-Vorpommern) geplante Aufmarsch der NPD dar. Von den Behörden wurde das Mitführen von Fackeln und der Vorbeimarsch am Flüchtlingsheim zwar untersagt, dennoch sammelten sich rund 200 Anhängerinnen und Anhänger der NPD. Mit Parolen wie »Deutschland den Deutschen – wir sind das Volk« und »Wir wollen keine Asylantenheime« zogen – »diszipliniert in Dreier-Reihen« – die »volkstreuen Deutschen« durch die Straßen, wie die NPD im Nachgang schreibt. In Wolgast hatte es bereits Wochen vor dem Aufmarsch Sprühereien und  Äußerungen der benachbarten Einwohner_innen gegeben, die sich gegen die Unterbringung weiterer Flüchtlinge wendeten. Ein Erfolg dagegen war die große Mobilisierung von Gegendemonstrant_innen: über eintausend Menschen beteiligten sich an Protesten, darunter auch an friedlichen Blockaden der Nazi-Demoroute.

Die neonazistischen Drohungen haben auch längst diejenigen erreicht, die sich in ihrer kirchlichen, humanitären oder karitativen Arbeit für die Verbesserung der Situation der Flüchtlinge einsetzen. So tauchte im Januar diesen Jahres auf dem neonazistischen Internetportal meinhh.info ein Artikel auf, der sich ausführlich mit dem angeblichen »Überfremdungsnetzwerk in Hamburg« beschäftigte.4 Der dortige Flüchtlingsrat wurde als »steuerndes Element der  Überfremdungsbemühungen « bezeichnet, alternative, kirchliche und diakonische Einrichtungen zum Teil mit Adressen und Namen der Verantwortlichen aufgelistet. Ähnlich wie bei den Listen von »Volksfeinden«, die das  neonazistische  Netzwerk Nationaler Widerstand Berlin (NW Berlin) bereits seit Jahren veröffentlicht, verstanden auch die hier Betroffenen die Veröffentlichung als deutliche Drohung.5

»Rostock ist überall!«
Wer sich öffentlich für die Rechte der Geflüchteten einsetzt, läuft inzwischen erneut Gefahr, eine Flut von Hassmails, -Briefen und -Telefonanrufen zu erhalten. Aus einer Region erreichten uns Hinweise, dass bereits darüber nachgedacht werde, wie die Flüchtlinge im Ernstfall zu schützen wären. Der Gedanke, dass es zu einer gewalttätigen Eskalation und der Gefährdung von Menschen kommen könnte, ist keineswegs als Paranoia abzutun. Es ist die neonazistische Rechte selber, die den Kampf gegen Flüchtlinge und die Bedrohung ihres Lebens auf die Tagesordnung setzt.

Eine solche Bedrohung mussten Anfang Oktober die Bewohner_innen eines abgelegenen Flüchtlingsheims im brandenburgischen Waßmannsdorf erleben. Mitten in der Nacht klirrten Scheiben, ein Glasbehälter mit brauner Farbe flog in das Zimmer im Erdgeschoss, in dem zwei junge Afghaninnen schliefen. Die unbekannten Täter_innen versuchten zwei Türen einzuschlagen. Am Tatort hinterließen sie die Parole »Rostock ist überall« sowie ein Hakenkreuz. Und das Kürzel NW Berlin, das seit einiger Zeit häufiger in Brandenburg auftaucht.6 »Einen so offensiven Angriff, eine so klare Drohung, das hat es hier lange nicht gegeben.«, so ein Vertreter der Brandenburger Opferberatung »Opferperspektive«.7 Am selben Abend wurde das Kürzel des brandgefährlichen Neonazi-Netzwerkes auch im wenige Kilometer entfernten Berlin-Rudow gesprüht. Als mutmaßlicher Betreiber der Webseite des Nationalen Widerstandes wird seit geraumer Zeit gegen Sebastian Schmidtke ermittelt, seines Zeichens Landesvorsitzender der Berliner NPD.

Besorgnis erregte auch ein bislang ungeklärter Brandanschlag in einem Flüchtlingsheim im bayerischen Wörth (Isar). Dort wurde in der Nacht des 3. November im Erdgeschoss randaliert und mehrere kleine Brände gelegt. Bereits vor dem Anschlag war das Wohnheim mit rassistischen Parolen beschmiert worden, berichteten die Bewohner_innen.

Regionale Unterschiede
An den Beispielen zeigt sich: dort, wo die NPD oder Kameradschaften die Stärke besitzen, versuchen sie vorhandene lokale Debatten ideologisch zu verschärfen und mit eigener »Ausländer Raus!«-Rhetorik auf die Spitze zu treiben. In verschiedenen Regionen und in unterschiedlichen Bundesländern können durchaus auch andere politische Akteure federführend sein, wenn es darum geht, den »Unmut der Bevölkerung« zu artikulieren. Mal gründen sich – wie es in Bayern zuletzt häufiger der Fall war – örtliche Bürgerinitiativen sozusagen aus der Mitte der Gemeinden, die vor dem angeblich massenhaften Zuzug von Fremden warnen.

Mal sind es die besorgten Nachbarinnen und Nachbarn, die das Schreckensbild eines herunter gekommenen Stadtteils herauf beschwören, falls sich die fremden, als kulturell »andersartig« stigmatisierten Menschen bei ihnen niederlassen. Besonders häufig hörbar wird dies beim tatsächlichen oder vorgesehenen Zuzug von Romafamilien in Stadtteile. Die tradierten antiziganistischen Ressentiments treffen die vor Diskriminierung aus Serbien und Mazedonien geflüchteten Familien mit voller Wucht.

Back to the Nineties?
Die langjährig politisch Aktiven fühlen sich bei manchen öffentlichen Diskursen und in Anbetracht der Leichtigkeit, mit der das öffentliche rassistische Ressentiment bedienbar scheint, an die frühen 1990er-Jahre erinnert. Ein  leichtfertiges Gleichsetzen der aktuellen Situation mit den Monaten, als der rassistische Mob prügelnd und Brände legend durch viele Städte und Gemeinden in Ost und West zog, verbietet sich. Doch wir wissen seither um die verhängnisvolle Dynamik, die sich zwischen politischem Diskurs von oben und der Exekution eines vermeintlichen oder realen »Volkswillens« durch Nazis und andere Brandstifter von unten entwickeln kann.

Auch in den Jahren 1990 bis 1994 dominierte das Thema »Asyl« die konkreten physischen Angriffe der Neonazis deutlich, wie u.a. Ruud Koopmans in seinen Studien belegen konnte: mehr als 50 Prozent aller damaligen Aktionen und Äußerungen wendeten sich gegen »Ausländer«, »Asylbewerber« und deren Unterkünfte. Laut Koopmans war dies »ein Indiz für die zentrale Bedeutung, die der öffentlichen Asyldebatte für die Entfaltung rechtsextremer Gewalt zukam.«8

Ausblick
Wenn politische »Bedenkenträger« sich öffentlich um den »massenhaften Missbrauch« der Asylgesetze sorgen, haben sie nicht die Intention, Flüchtlinge zum Angriff frei zu geben. Aber sie spielen bewusst auf der rassistischen Klaviatur, um Wahlkampf zu machen. Oder um politische Projekte durchzusetzen, in der Hoffnung, durch das Drohpotenzial solcher Kampagnen die politische Opposition gefügig zu machen. Allein die Presse spielt nach Ansicht vieler heute eine  positivere Rolle als vor 20 Jahren. Bisher lesen wir viel kritisches gegenüber manch platter »Ausländer raus«-Rhetorik  und in vielen Artikeln wird Verständnis deutlich für die Motive und Forderungen der Geflüchteten.

Es ist vor dieser Entwicklung nur zu hoffen, dass die Linke endlich die antifaschistische Politik mit einer antirassistischen Praxis verbindet. Dafür gibt es gute, aber leider noch zu wenige Beispiele.

Ulli Jentsch

1 Dieses und folgende Zitate nach einem vom apabiz angefertigten Transkript der Rede von Lars Seidensticker vom 13.11.2012.
2 Zitat nach einem vom apabiz angefertigten Transkript der Rede von Ronny Zasowk vom 17.11.2012.
3 Vgl. zum Beispiel zu den Störversuchen der NPD in Potsdam: http://inforiot.de/artikel/refugees-arewelcome-
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4 Der Artikel ist auf der Webseite nicht mehr aufzufinden. Eine Reaktion auf das Medienecho im Internet unter
http://www.npd-stade.de/?p=388, zuletzt am 28.11.2012.
5 Vgl. Peter Müller: Liste der Einschüchterung. In: taz Hamburg v. 20.1.2012.
6 Vgl. dazu inforiot: NW Berlin goes Brandenburg?. Informationen zu Waßmannsdorf vgl. inforiot: NW goes Brandenburg Teil 2.
7 Vgl. Konrad Litschko: Rechter Angriff auf Flüchtlingsheim. In: taz Berlin v. 10.10.2012.
8 Vgl. Ruud Koopmans: Soziale Bewegung von rechts? In: Jens Mecklenburg (Hg.): Handbuch Deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996, S.767-781.

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